Tod am Zollhaus
und Augusta so zufrieden, dass ihn gar nichts störte.
Titus holte tief Luft und ließ sich auf die Bank im Kröger’schen Hof fallen.
«Vandenfelde stinkt wie ein Gerber. Hoffentlich haben wir kein Fleisch aus seinen Mulden in unserer Suppe.»
Sebastian setzte sich neben Titus und sah zu den dunklen Fenstern der Schlafkammern hinauf. Alle schliefen. Rosina hatte zwar ein bisschen zu gerne recht, aber mit ihrem klaren Geist und ihren freien Gedanken würde es leichter sein, Vandenfeldes Geschichte abzuwägen. Und sie würde wissen, was nun zu tun war.
«Sie träumt schon», murmelte Titus, der Sebastians Blick gefolgt war, schläfrig. «Was hältst du von der Geschichte?»
«Sie könnte stimmen.» Titus tauchte die Hände in die Regentonne und kühlte sein branntweinrotes Gesicht. «Könnte! Aber warum sollte einer Behrmann nach so vielen Jahren umbringen, nur weil sein Vater ein Pfeffersack war?»
«Einer? Vandenfelde glaubt doch, dass es Herrmanns selbst war. Vielleicht wollte der Schreiber sein Erbe.»
«Erbe?» Titus lachte. «So einer kriegt kein Erbe. Wenn die Geschichte stimmt, war seine Mutter glücklich, dass sie nicht im Spinnhaus am Alstertor und ihr Kind im Waisenhaus verrottet ist. Das sind die Orte für gefallene Küchenmädchen und ihre Brut. Die reine Hölle. Ein Stück Land und ein paar Taler sind eine ungewöhnlich fürstliche Buße für eine lose Moral.»
«Und wenn er die Geschichte bekanntmachen wollte? Wenn er Herrmanns erpresst hat?»
«Junge, du kennst die Welt immer noch nicht. Was hätte er davon gehabt? Er wäre seinen schönen, weichen Schreibersessel und seine ordentliche Herkunft los gewesen. Von der Zukunft wollen wir nun gar nicht mehr reden. Aber ob der alte Herrmanns einen oder zehn Bastarde gezeugt hat, interessiert hier niemand.» Titus gähnte. «Ich geh schlafen. Erzähl die Geschichte morgen Lies. Die kannte die Stadt schon, als du noch nicht geboren warst. Vielleicht weiß sie was.»
Sebastian glaubte nicht, dass Herrmanns der Ruf seines Vaters egal war, gerade jetzt, wo seine Ernennung zum Ratsmitglied bevorstand. Natürlich konnte ein reicher Bürger so viele Küchenmädchen und Schankdirnen schwängern, wie er wollte. Aber es durfte nicht darüber geredet werden. Nicht in dieser Stadt, in der vielen schon eine rote Seidenweste als erster Schritt auf dem Weg zur Hölle galt.
Trotzdem machte das alles keinen Sinn. Hatte Behrmann überhaupt gewusst, wer sein Vater war? Wieso hätte er sich ausgerechnet seinen Halbbruder zum Herrn wählen sollen? Es musste eine Qual gewesen sein, alle Tage einem zu dienen, der den gleichen Vater hatte und so viel mehr besaß und galt, nur weil eine Mutter einen Ring getragen hatte und die andere nicht.
Aber vielleicht kannte Herrmanns die Geschichte, und der Posten als erster Schreiber war der Lohn für Behrmanns Schweigen gewesen. Es hieß ja, dass kein Schreiber so guten Lohn bekommen hatte wie Behrmann. Vielleicht – aber da schlief Sebastian ein.
Im Bremer Schlüssel herrschte immer noch Lärm. Jakobsen hatte den Besen nicht gefressen, aber dafür eine Runde Branntwein für alle spendiert. Jetzt saßen die Männer an den Tischen, schlugen sich auf die Schenkel und knallten ihre Becher immer lauter auf das Holz. Obwohl Vandenfelde, reichlich belohnt für seine gute Geschichte, längst mit dem Gesicht auf dem Tisch schnarchte, wurde das Geheimnis um Behrmanns Geburt immer bunter geredet. Es wurde immer größer, schöner und unanständiger, und die Zahl der Kaufleute, die als Vater in Frage kamen, wuchs rasch.
Als Jakobsen kurz vor der Sperrstunde seinen letzten Gast auf die Twiete schob, waren auch zwei Hauptpastoren und der Musikus Telemann in die Reihe der Verdächtigen aufgenommen. Herrmanns’ Vater, der alte, langweilige Herrmanns, war darüber beinahe vergessen.
Aber das war nicht wichtig. Die Hauptsache war, dass der Metzger eine seiner schönsten Geschichten erzählt und dass der Hanswurst sie geglaubt hatte.
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10. Kapitel
Samstagnacht
Der Mond stand fast voll am Himmel, sein weißes Licht fiel schräg durch das Fenster in die Kammer im zweiten Stock des Kröger’schen Hauses. Die Glocke von St. Petri begann die Stunden zu schlagen, und weil Rosina schon zum zweiten Mal mitzählte, wusste sie, dass es diesmal zwölf Schläge sein würden. Niemand schläft bei Vollmond gut, dachte sie und lauschte unwillig auf Helenas tiefe, ruhige Atemzüge.
Leise glitt sie aus dem Bett und
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