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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ist. Aber sieh dir seine Kleidung an. Sieht er nicht aus wie ein Pastor?»
    Rosina nickte und ließ das Tuch wieder über das bläuliche Gesicht gleiten.
    «Wann hast du ihn gefunden?»
    «Nicht lange bevor es Mitternacht schlug.»
    Sebastian hatte sich nach dem Ausflug in den Bremer Schlüssel im Stall ein Bett gemacht. Wenn Titus den Bauch voll Bier und Branntwein hatte, war sein Schnarchen fürchterlich.
    Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte, aber die Unruhe der Pferde und ein unbestimmtes Gefühl von Gefahr machten ihn sofort hellwach. Dann hörte er Bretter knarren und leise Schritte, die sich schnell entfernten.
    «Ich bin aus dem Heu gekrochen und habe ihn gefunden.»
    «Du hättest zuerst Hilfe holen sollen. Wenn er noch dagewesen wäre …»
    «… hätte ich mit ihm genau das Gleiche wie mit dir gemacht.» Sebastian grinste. «Sicher wäre der Mörder auch in Ohnmacht gefallen.»
    Rosina hätte ihn gerne böse angesehen, aber es gelang ihr nicht. Sie war plötzlich sehr froh, dass er da war.
    «Du frierst», sagte er leise, zog seine Jacke aus und legte sie um ihre Schultern.
    Rosina schmiegte sich an das warme Loden, atmete seinen Geruch nach Heu und Pferden und hatte ausnahmsweise nichts dagegen, dass er ganz nahe heranrückte und den Arm um sie legte, um sie zu wärmen.
    «Wir müssen ihn schnell loswerden.»
    Sebastian nickte.
    «Wenn er hier gefunden wird, können wir im Gänsemarsch zum Galgen marschieren.»
    «Hat er geblutet?»
    «Nein, zum Glück ist er nicht erstochen worden.»
    Sebastian drehte sich um, hob das Tuch und murmelte: «Erwürgt. Ich habe zwar noch nie einen Erwürgten gesehen, aber schau selbst.»
    «Ich glaube dir auch so.» Rosina kroch noch tiefer in die warme Jacke.
    «Und was machen wir mit ihm? Wir können ihn doch nicht einfach durch die Stadt schleppen und in ein Fleet werfen. Da laufen Wächter herum, und die Nacht ist immer noch hell …»
    «Aber nicht mehr lange. Der Wind bringt schon Wolken.»
    Sebastian und Rosina erstarrten. Wie aus dem Erdboden gewachsen, stand eine dunkel verhüllte Gestalt vor ihnen. Sie schlug das Tuch zurück und kicherte leise. Lautlos glitt sie aus dem Schatten und beugte sich über den Mann.
    «Lies! Wo kommst du so plötzlich her?»
    «Nach Mitternacht ist Geisterstunde, Rosina. Weißt du das nicht?»
    Sie hob das Tuch und betrachtete das Gesicht des Toten. Ihre dünnen Finger tasteten von den Schläfen hinunter zum Hals, verharrten unterhalb der Ohren, glitten unter den Kragen und über die Schultermuskeln.
    «Tot», flüsterte sie, «aber noch nicht lange. Ich weiß einen schönen Platz für dich», murmelte sie und tätschelte dem Toten freundlich die Schulter. «Wir warten, bis der Mond verschwunden ist. Betet, dass, wer immer das getan hat, die Stadtwache erst morgen schickt.»

[zur Inhaltsübersicht]
    11. Kapitel
    Sonntagvormittag
    Das helle Sonnenlicht blendete Claes, als er mit Augusta die Katharinenkirche verließ. In der Kirche mit ihren alten Buntglasfenstern war es schummrig, und sosehr er sich bemüht hatte, der Predigt zu folgen, er war doch immer wieder eingenickt. Er hatte nach den Aufregungen der letzten Nacht schlecht und zu wenig geschlafen, und Pastor Meiser predigte zu langweilig, um ihn an diesem Morgen wach zu halten. Jedes Mal wenn sein Kopf nach vorne sank, hatte Augusta ihn sanft geschubst. Es hatte wenig genützt.
    Hoffentlich kam Goeze bald von seinem Besuch im dänischen Schleswig zurück. Der Hauptpastor war ein strenger und humorloser Mann, doch ein gewaltiger Redner, und seine Predigten, oft ein hartes Gericht gegen die Unsittlichkeit der Künste, waren wenigstens nie langweilig. Claes teilte Goezes Zorn auf weltliche Vergnügen nicht. Aber Meisers Salbaderei war gegen den Donner des Hauptpastors nichts als dünne Luft.
    Goeze sorgte immer wieder für Aufregung. Was war das für ein Spektakel gewesen, als er den Rat dazu gebracht hatte, Dreyers Büchlein mit Spottgedichten zu beschlagnahmen und vom Henker auf der Trostbrücke verbrennen zu lassen. Zwar hatten die Bürger dafür gesorgt, dass die Stadtwache von den gedruckten tausend nur noch wenige Exemplare in den Buchhandlungen fanden, aber Dreyer musste sich von Goezes Kanzel als Satansapostel beschimpfen lassen und die Stadt verlassen. Wochenlang hatte das Debakel in den Salons Staub aufgewirbelt und das öde Einerlei aus Klatsch, Geschäften und Kartenspiel aufgemischt. Es hieß, dass Dreyer bald zurückkehren werde, und die ganze Stadt wartete

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