Tod am Zollhaus
verborgen hatten.
Claes verrieb noch einen Tropfen des Öls auf den Schläfen. Es besänftigte den bohrenden Schmerz tatsächlich. Wenn die Mixtur ihm doch auch helfen würde, klarer zu denken. Da war etwas, an das er sich erinnern wollte, irgendein Satz, ein Gedanke, ein Wort.
Ein Bild?
Vielleicht sollte er auf Augusta hören und mit dem Komödianten in der Fronerei reden. Es konnte nicht schaden. Und wenn er sich zusammenriss und zuhörte, anstatt gleich loszubrüllen, wenn der Kerl ihm nicht passte, erlebte er womöglich eine Überraschung und erfuhr, was er wissen wollte.
Er goss sich noch einen Port ein, ganz bestimmt den letzten heute Abend, und öffnete das Fenster. Die Nachtluft war milde, der Frühling war nun wirklich da. Mondlicht glänzte auf dem Fleet, und am Ende der Straße flackerte der Lichtschein der Laternen auf der Jungfernbrücke herüber. Schwer vorstellbar, dass Martin hier, nur wenige Meter von seinem sicheren Haus entfernt, fast erschlagen worden war.
«Vater!» Sophie stand aufgeregt in der Tür. «Gott sei Dank, du schläfst noch nicht. Komm schnell zu Martin.»
Das Wolltuch rutschte von ihren Schultern, aber sie beachtete es nicht.
«Er spricht, und ich kann ihn einfach nicht verstehen. So komm doch! Schnell!» Schon war sie wieder aus der Tür und lief eilig die Treppe hinauf zurück in Martins Zimmer.
Martin lag mit geschlossenen Augen in dem breiten Bett. Obwohl die sechs Kerzen den Raum nur spärlich beleuchteten, bemerkte Claes, dass ein Hauch von Leben in sein bleiches Gesicht zurückgekehrt war.
Aber Martin sprach nicht. Er atmete ruhig und blieb stumm.
Sophie starrte ihn flehentlich an. «Eben hat er geredet. Er war ganz aufgeregt, irgend etwas von den Färöern und von einem Gamben-Hans. Verstehst du das? Warum denkt er jetzt an die Färöer Inseln? Treiben wir mit denen Handel? O Vater, glaubst du, es geht ihm besser? Wenn er spricht, muss es ihm doch bessergehen.»
«Sicher geht es ihm besser, Sophie. Das liegt an deiner guten Pflege.» Claes legte beruhigend seinen Arm um die zitternden Schultern seiner Tochter.
«Die Färöer, sagst du? Das macht keinen Sinn. Aber wenn Kranke phantasieren, erscheint das oft ohne Sinn. Wer weiß, wovon er gerade träumt?»
Claes hatte damals auf Jersey auch phantasiert. Von Jasmin, hatte Anne ihm später berichtet, immer wieder von Jasmin. Das hatte auch keinen Sinn gemacht. An diesem Abend verstand er endlich.
Martin stöhnte und drehte unruhig seinen Kopf auf dem Kissen. Für einen Moment öffnete er die Augen, aber sein Blick blieb leer und hielt nichts fest. Und dann sprach er wieder, hastig und unruhig Gemurmeltes, wirre Satzfetzen, die kaum zu verstehen waren.
«Bitte, Martin», flehte Sophie, «wach auf, Liebster. Sprich mit mir. Bitte.»
Aber Martin seufzte nur. Sein Atem wurde ruhiger und zeigte, dass er wieder in tiefem Schlaf versunken war.
Sophie hatte ihn auch jetzt nicht verstanden. Claes zuckte bedauernd die Schultern.
«Mach dir keine Sorgen, Kind. Es kann nur ein gutes Zeichen sein. Mir scheint auch, dass er nicht mehr ganz so weit fort ist.» Er strich ihr über die heiße Wange. «Solltest du nicht auch schlafen?»
«Bald, Vater. Elsbeth löst mich um Mitternacht ab. Wir wollen nicht, dass er allein ist, wenn er aufwacht.»
Claes nickte und erinnerte sich daran, wie er damals auf Jersey zum ersten Mal aus seiner tagelangen Bewusstlosigkeit erwacht war. Er hatte sich nicht erinnern können, wo oder wer er war, hatte Schmerzen gespürt und die Angst, die ihn durch die Fieberträume gejagt hatte. Doch als er Annes Gesicht im Schein der Kerze sah, war alles gut, und die Angst verging.
An der Tür drehte er sich noch einmal um. Sophie hielt Martins Hand, betrachtete ihn aufmerksam und murmelte beruhigende Worte. Sie warb um seine Rückkehr von den Ufern der Dunkelheit in ihre helle Welt.
In den letzten Tagen war aus dem quirligen Mädchen eine starke junge Frau geworden. Eine liebende Frau. Sophie war erwachsen. Sicher nicht erst seit den letzten Tagen, er hatte es bisher nur nicht bemerkt.
«Sophie.»
«Ja, Vater?»
Sie drehte sich zu ihm um, voller Anmut, trotz ihrer Müdigkeit. Ihr stilles Lächeln und ihr aufmerksamer Blick erreichten eine Kammer seiner Seele, die er vor drei Jahren fest verschlossen hatte.
«Du bist deiner Mutter sehr ähnlich. Ich bin stolz auf dich.» Dann schloss er leise die Tür.
Färöer und Gamben-Hans. Claes runzelte die Stirn, griff nach Feder und Tinte und schrieb die
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