Tod am Zollhaus
gespannt auf den nächsten Akt des komischen Dramas zwischen Kunst und Kirche.
Claes seufzte. War es erst eine Woche her, dass er sich mit Joachim, Baumeister Sonnin, Telemann und dem jungen Reimarus im Kaffeehaus über das Recht auf die freie Rede, das Für und Wider der Zensur und die Macht der Kirche gestritten hatte? Wie vergnüglich war ihm in seinem Alltagstrott der ewige Zank zwischen Dreyer und Goeze erschienen. Was würde er jetzt darum geben, in diesen Trott zurückkehren zu können!
«Komm, Claes.» Augusta nahm seinen Arm. «Auf dem Jungfernstieg werden die ersten Veilchen angeboten. Ihr Frühlingsduft wird Martin guttun, und wir beide brauchen Luft und Sonne.»
Auf der breiten Promenade am Ufer der Binnenalster herrschte reges Treiben. Unter den Linden spazierten ganze Familien im Sonntagsstaat, junge Mädchen führten kleine Hunde und ihre neuen Frühlingshüte spazieren, Jungen rannten am Wasser entlang und drehten ihre Reifen, Hökerinnen hockten auf runden Ufersteinen, verkauften Mandeln, Zimtbrezeln und getrocknete Pflaumen. Am Anfang der Lindenallee standen zwei Vierländerinnen in ihren bunten Trachten mit den breitrandig gewölbten Strohhüten. Ihre Körbe waren fast leer. Augusta war froh, die letzten vier Veilchensträuße zu ergattern.
Claes sah zwei jungen Männern nach, Söhnen von Kroogstedt und Wagner, die auf ihren glänzenden Füchsen langsam durch die Menge ritten. Er sah ihre geschmeidigen Bewegungen, den galanten Schwung ihrer Arme, wenn sie, von den sonntäglich aufgezäumten Pferden herab ihren Dreispitz schwenkend, in die Menge grüßten, ihre vom Wind geröteten, selbstbewussten Gesichter.
Augusta, die immer seinen Gedanken folgen konnte, lächelte.
«Du solltest auch wieder reiten, Claes. Manchmal», sie strich entschuldigend über seinen Arm, «gebärdest du dich weitaus älter, als du bist.»
Claes nickte. Er hatte auch schon daran gedacht. Joachim behauptete immer, das Reiten halte ihn gesund und bei Laune. Tatsächlich wirkte er, obwohl nur wenige Jahre später geboren, weitaus jünger und kraftvoller als Claes.
Augusta hatte mal wieder recht. In den letzten Jahren war er eingerostet. Zumindest wollte er den Stock zu Hause lassen, er brauchte ihn wirklich nicht mehr.
Aber eigentlich kümmerte ihn seine Gesundheit an diesem Vormittag weniger denn je. Die Gedanken schwirrten in seinem Kopf wie kanarische Vögel in einer zu engen Voliere. Das merkwürdige Verschwinden der Post zwischen Jersey und Hamburg hatte ihn fast Annes Freundschaft gekostet. Die anonymen Briefe, in denen er als gottloser Förderer der Sklaverei angeklagt und mit göttlicher Strafe bedroht wurde, waren nicht minder merkwürdig. Ein dritter hatte heute Morgen auf seiner Kirchenbank gelegen. Er würde ihn später lesen, er wusste ja, was darin stand.
Zwei Worte drängten sich in dem Durcheinander in seinem Kopf immer wieder in den Vordergrund: Pharo und Gambling House.
Er war heute ein schlechter Gesellschafter und froh, als die struppige Perücke Telemanns aus der Menge auftauchte. Der Wagen des Musikers wartete nahe St. Petri. Augusta nahm sein Angebot, sie nach Hause zu fahren, freudig an. Telemann würde mit ihr ein ausgiebiges Frühstück nehmen.
Claes sah den beiden lächelnd nach. Augusta, immer noch kerzengerade und elegant in der schweren grauen Seide am Arm des steifbeinigen, etwas krummen Telemann. Plaudernd und kichernd wirkten sie aus der Entfernung wie ein junges Paar. Zwischen ihnen gab es keine Zweifel, keine schwarzen Wolken. Im Bewusstsein der Kostbarkeit jeden Tages schlenderten sie durch die Frühlingssonne, als gebe es nichts zu fürchten als den nächsten Regenschauer.
Der alte Moses, zwei Schritte hinter seinem Herrn, wie es sich gehörte, mit besorgtem Gesicht, wie es seine Art war, würde zwar kaum dafür sorgen können, dass die beiden Alten unversehrt im Neuen Wandrahm ankamen. Aber Telemanns Kutscher, ein rotgesichtiger Junge aus Horn, hatte für den Notfall kräftige Fäuste.
Claes ging über die Promenade, grüßte höflich nach links und nach rechts, aber anders als sonst blieb er nicht stehen, wenn er Bekannte traf.
Er war in Gedanken, und als er Agnes entdeckte, war es beinahe schon zu spät.
Seit sie im Februar zurückgekehrt war, vermied er, ihr zu begegnen. Er wusste, dass sie die Wintermonate nicht zum Vergnügen in London verbracht hatte, sondern auf der Flucht vor dem Klatsch.
Als sie beim Großen Festmahl der Ratsherren im letzten August an seiner
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