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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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verschwundenen Dorfbewohner und über die Sehnsucht des kleinen Hundes nach seinem menschlichen Rudel hatte Giacomo zwar nicht unberührt gelassen, aber es waren eben nicht seine Menschen gewesen, um die es ging. Und seine Zeit für Heldentaten war längst vorbei. Sollte der Kleine sich doch einen jüngeren Trüffelhund suchen, es musste noch genug geben in der Langhe. Er würde hier bleiben, wo er regelmäßig ein Schälchen Barolo bekam.
    Es geschah am Abend des dritten Tages ihrer gemeinsamen Zeit.
    Niccolò, dessen einziger Plan darin bestanden hatte, Giacomo zu finden und mit seiner Hilfe alle anderen, war mittlerweile stumm wie ein Fisch geworden und trottete nur noch hinter dem alten Trüffelhund her, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Sie standen in der begrünten Insel im Inneren der Piazza Savona, im Wirbelsturm der das Rondell umkreisenden Kleinwagen und Roller, als sie denUnglaublichen Houdini sahen, den Entfesselungskünstler unter den Zirkushunden. Es war ein schwarzer Affenpinscher mit abstehendem Fell, das ihm in seiner langen und erfolgreichen Karriere ermöglicht hatte, sich aus unzähligen Schlingen zu befreien.
    Doch das Würgehalsband, in dem er nun steckte, schien selbst ihn vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. Zog er an der Leine, zog es sich zu. Der Unglaubliche Houdini zerrte trotzdem. Der Mensch am anderen Ende der Leine, eine untersetzte Frau mit strahlendblonden Locken und hochakkuraten Augenbrauen, hielt dagegen. Immer wieder riss sie die Leine an sich, was dem Unglaublichen Houdini den Atem raubte. Er röchelte nur noch.
    Jetzt, wo Niccolò kurz vor ihr stand, erkannte er sie. Es war die Frau aus dem Tierheim.
    Und auch sie erkannte ihn.
    Unverzüglich holte sie mit ihrem schwarzen Stock aus und schlug auf Niccolò ein. »Da bist du ja, Mistvieh! Jetzt geht’s zurück in den Käfig!« Sie griff mit ihren fleischigen Händen nach ihm, ließ dafür die Leine los, der Unglaubliche Houdini streifte das Halsband in Blitzesschnelle ab und raste davon.
    Giacomo ging auf die Frau zu und biss in die Wade, bis er spürte, dass er mit seinen Zähnen zum Knochen vorgedrungen war. Lagotto Romagnolo wie er waren als anpassungsfähige Familienhunde bekannt, als gehorsam und genügsam, als aufgeweckte, liebenswürdige Tiere. Doch sie konnten auch anders, und ihr Gebiss war stark.
    Das blutende Bein mit beiden Händen abpressend, wälzte sich die Frau auf dem Boden, vor Schmerzen aufheulend wie ein junger Hund.
    »Ich habe nichts Wichtiges durchgebissen«, sagte Giacomo ruhig. »Aber jetzt kann ich hier nicht mehr bleiben. Entkommen werde ich wohl auch nicht. Einen bissigen Hundjagen die Menschen mit viel Ausdauer.« Er machte eine Pause. »Und dann schläfern sie ihn ein.«
    Passanten waren stehen geblieben und zeigten nun auf den Trüffelhund mit der blutigen Schnauze, ein Jugendlicher mit gelglänzendem Haar wählte eine Nummer auf seinem Handy und sprach dann aufgeregt hinein.
    Sie mussten weg. Sofort! Doch wohin?
    Es gab nur einen Ausweg, doch der war mindestens so gefährlich wie aufgebrachte Menschen.
    Die Kanalisation.
    Mit den dort lebenden Dachshunden.

 
    Kapitel 4
     
     
    WOLFSGEHEUL
     
     
    D ie Zeit ohne Rudel dehnte sich für Aurelius als wäre sie ein zähes Stück Fleisch. Es war sein Leben, Teil des Wolfsverbunds zu sein, so wie ein Bein zu einem Körper gehört. Getrennt von diesem kam er sich unvollständig vor. Und doch würde er gleich den Willen des Gehirns ausführen, Grarrs Willen, denn er näherte sich dem Herrschaftsgebiet der Gebirgswölfe, die das Valle del Chisone am Nordrand der Alpen zu ihrem Revier auserkoren hatten. Wie Leuchtfeuer stachen die Urinmarkierungen des Leitwolfs und der Leitwölfin vor ihm in den zerbrechlich wirkenden Nachthimmel, der glitzernd über den scharfgeschnittenen Bergspitzen thronte. Die Botschaft war unmissverständlich: Komm nicht näher, verschwinde oder wir töten dich! Dies ist nicht deine Welt!
    Aurelius überschritt die Grenze und widerstand dem starken Drang, eine eigene Markierung zu setzen. Es würde nur alles verkomplizieren. Die Gebirgswölfe würden ihn bald riechen können. Wann genau, hing davon ab, wo sich das Rudel in dem großen Revier aufhielt. Es würde vermutlich in der Nähe einer Herde sein, die ein vielversprechendes krankes oder altes Tier aufwies, das sich von seinen Artgenossen trennen ließ.
    Da Aurelius es hasste, überrascht zu werden, entschloss er sich, den alpinen Bergkamm zu besteigen, der sich

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