Tod & Trüffel
Straße liegt, gehört allen.«
»Ich bin extra dafür in eine Menschenwohnung eingebrochen.«
»Ist mir doch egal, pass halt besser auf deine Sachen auf. Und reiz mich ja nicht! Ich mag klein sein, aber ich bin stinkewütend. Komm mir bloß nicht blöde! Solche Meckerer wie dich kann ich schon gar nicht leiden.«
»Du kannst froh sein, dass ich noch mehr aus dem offenen Kühlschrank mitgenommen habe, sonst würde ich dir jetzt das Genick durchbeißen.«
»Mach doch, wenn du dich traust! Aber du wirst es nicht schaffen. Und wenn ich Giacomo finde, ja du hast richtig gehört, den Giacomo, die Trüffel, dann wird er dich für alle Frechheiten zur Rechenschaft ziehen.«
»Ich bin Giacomo«, sagte der alte Hund und verschwand wieder im Haus.
Einen Tag und zwei Nächte wartete der freche, junge Hund vor Giacomos Tür, die dieser von innen mit einem alten Karton versperrt hatte. Tuma-di-Bossolasco-Käse, Salame Cotto Astigiano und eine große Focaccia füllten Giacomo in dieser Zeit aufs Angenehmste den Bauch, sämtlich Beute, die er aus dem Kühlschrank der verlassenen Wohnung geholt hatte. Seiner drängendsten Probleme entledigte er sich in dem Teil des verfallenen Hauses, der unter freiem Himmel lag. Er musste nicht vor die Tür gehen, er hatte alles, was er brauchte. Der kleine Hund würde sicher bald verschwinden. Er hatte keine Lust, mit ihm über den Giacomo zu reden, geschweige denn dieser zu sein. Es war ein altes Ich, das sich nun wie ein ungeliebter Zwillingsbruder anfühlte. Ein toter, ungeliebter Zwillingsbruder.
Doch als es nichts mehr zu essen gab, musste er den Karton fortschieben und sich durch den Spalt nach draußen zwängen, wo ihn der junge Hund empfing. Er sah nochschlechter aus als zuvor, schien all die Zeit über nichts gegessen und getrunken zu haben.
»Komm mit«, sagte Giacomo zu ihm und führte ihn in die Via Giacosa, wo sich der Hinterausgang der Pizzeria Brandi befand. Die Abfälle hier waren nichts für Feinschmecker, aber der Kleine konnte in seinem Zustand nicht wählerisch sein. Gierig fraß er sich durch die Überreste der Funghi, Tonnos und Margeritas, welche die Restaurantgäste nicht herunterbekommen hatten. Als er die salzigen Stücke verschlungen hatte, konnte Giacomo die Trockenheit in den Augen des Italienischen Windspiels erkennen. Wie bei altem Fisch ließ der Wassermangel sie trüb werden. Der Tanaro war zwar kein großer Fluss und sein Wasser trübe, doch da es seit Tagen nicht geregnet hatte, blieb nichts anderes übrig zum Stillen des Durstes. Nach einer kurzen Wanderung zur Uferböschung kehrte so das Leben in den Körper des kleinen Hundes zurück. Erst danach, die Lefzen noch feucht glänzend vom Flusswasser, sprach er wieder. Nun höflich, fast devot, den Kopf gesenkt.
»Zuerst habe ich nicht geglaubt, dass du wirklich Giacomo bist. Aber dann musste ich an deine Nase denken, die genau so ist, wie es immer gesagt wurde. Unförmig und verwachsen, abartig geformt.«
»Danke, reicht. Schön, dass es dir besser geht.«
»Nein, so war das nicht ... sie ist toll! Eine großartige Nase! Und es geht ja auch nicht darum, wie sie aussieht, sondern nur, was sie kann!«
»Das macht es jetzt gleich besser. Ich bin dann weg. Mach’s gut.«
» Warte! « Niccolò sprang vor ihn und baute sich zu voller Größe auf, was allerdings nicht viel war. »Ich hab dich gesucht. Du musst mir unbedingt helfen!«
»Hab ich doch schon, und jetzt leb wohl.« Er ging die Böschung hinauf in Richtung Altstadt, Essen suchen, gutes Essen. »Der Giacomo, den du suchst, den gibt es nicht mehr. Und der Giacomo, den es gibt, den hättest du nicht zu suchen brauchen.« Er trottete davon, Niccolò hinterher, nun dank Pizzeriaabfällen und Flusswasser wieder voller Energie, selbst die Schmerzen an nahezu jedem Knochen, Knöchel und Muskel seines kleinen Körpers spürte er vor lauter Aufregung nicht. Endlich konnte er mit seinem Retter reden. Das Gespräch wurde jedoch zunehmend einseitiger. Irgendwann sagte Giacomo: »Ich tue jetzt einfach so, als wärst du gar nicht da. Okay?«, und von diesem Moment an sagte er nichts mehr. Niccolò wich ihm trotzdem nicht von der Seite, und als der alte Trüffelhund zurück in sein Haus ging und den Eingang verrammelte, blieb Niccolò draußen liegen, wie in der Nacht zuvor. Am nächsten Tag hatte Giacomo deshalb erneut einen Schatten in Windspielform, der ihn überallhin begleitete, aber nun langsam etwas einsilbiger wurde. Die Geschichte über die
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