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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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unwirtlichen Felspartien noch härter, denn der Schall hallte von den glatten Klüften. Es klang, als verhöhnte ihn der ganze Berg. Schwarzreißer kam nun noch etwas näher, das Rudel folgte ihm zu beiden Seiten wie an einer unsichtbaren Leine gezogen. Ihr Fell wirkte im Mondschein wie Fels, so grau und hart lag es auf ihren Körpern.
    »Ihr seid Frevel an der Natur, Aurelius. Hör sich einer nur diesen Namen an! Aurelius!« Schwarzreißer wandte sich um, Zustimmung fordernd, seine Wölfe heulten wieder auf.
    »Menschliche Namen tragen nur Degenerierte. Wollt ihr etwa sein wie Hunde? Devot und unterwürfig? Ihr dürft euch nicht wundern, wenn die Menschen, deren Nähe ihr wie hilflose Welpen sucht, euch eines Tages strafen. So machen es Eltern eben mit ihren Kindern.« Er drehte sich wieder um und erntete das erwünschte Aufheulen.
    »Die Liste eurer Abartigkeiten ist lang, dabei weiß ich noch nicht einmal, ob mir alles zu Ohren gekommen ist. Am widerwärtigsten finde ich, dass Grarr nicht nur eureLeitwölfin besteigt, sondern alle Wölfinnen des Rudels! Und dann lässt er diese Missgeburten, die ihr ›die Kralle‹ nennt, seine Arbeit machen, seine Kämpfe führen, seine Markierungen setzen. Ihr seid eine Schande für alle Wölfe! Um all eure Sünden und Verfehlungen aufzuzählen, mit denen ihr euch an der Natur, an dem Platz, der uns Wölfen zugewiesen wurde, versündigt, fehlt mir die Zeit und die Lust. Wie habt ihr euch immer gebrüstet, dass es eure direkte Vorfahrin war, die einst ihre Zitzen den menschlichen Zwillingen hinstreckte, die später Rom gründeten. Das war Sünde ! Und alles, was folgte, eure immerwährenden Versuche, den Menschen nah zu sein, auch. Ihr seid nicht das auserwählte Rudel, von dem unsere Legenden erzählen! Und was Frieden zwischen Mensch und Wolf angeht, den gibt es nicht, und einen Krieg ebenso wenig, weil wir diesen nur verlieren könnten, gegen diese Betrüger, die sich Waffen nehmen, anstatt mit dem zu kämpfen, was ihnen die Natur gegeben hat. Sie leben ihr Leben, wir das unsere. Die Wege sollen sich nicht kreuzen. Niemals! Wenn ihr untergeht, werden wir mit großer Freude dabei zusehen. So wie ihr es getan habt, erinnerst du dich noch, Aurelius? Erinnerst du dich so genau daran wie ich, als ihr unser Ende in Kauf nahmt?«
    Der alte Wolf erwiderte nichts.
    »Natürlich weißt du es noch! Solch einen Winter vergisst man nicht. Ein Winter wie kein zweiter. Wir kamen damals zu euch, so wie du nun zu uns, baten um Hilfe, um Hinweise, wo wir Beute finden könnten, und was tatet ihr? Drangt in unser Revier ein, wildertet bei uns, fraßt das wenige, was noch da war, liefertet uns dem Hungertod aus. Meine Gefährtin Blutpfote starb damals, erfror kraftlos in einer Schneewehe. Viele von uns krepierten elendiglich, es brauchte lange Zeit, unsere alte Stärke wiederzugewinnen. Wie kannst du es wagen, nun anzukommen und uns um Hilfe zu bitten?«
    Aus dem Nichts setzte Regen ein. Kalte, in den Höhen geborene eisige Tropfen, gemischt mit Hagel, der laut auf den Bergkamm prallte. Es klang wie das Schlagen von Trommeln. Das Wolfsrudel stand auf, ohne dass Schwarzreißer einen Befehl geben musste, und schritt auf Aurelius zu.
    »Jeder meines Rudels kennt diese Begebenheit. Sie soll niemals vergessen sein, sie soll bis in alle Ewigkeit gesühnt werden. Mit jeder Generation aufs Neue. Das Fleisch unseres Rudels wurde genommen – jetzt holen wir uns das Fleisch von euch zurück. Und du wirst nur der Anfang sein!«
    Aurelius wich zurück, seine Pfoten glitten ohne Widerstand über den glitschigen Fels. Die Gebirgswölfe bewegten sich sicher auf dem Untergrund und genossen die Angst in Aurelius’ Augen, zelebrierten jeden so lange erwarteten Schritt auf den Beginn ihrer Rache zu.
    Aurelius wich weiter zurück.
    Schwarzreißer bedeutete seinem Rudel zurückzubleiben, nur mit seiner Gefährtin marschierte er weiter. Die ersten Bisse gehörten ihnen, so war es Gesetz. Und Gesetze wurden hier geachtet.
    Mit einem Mal spürte Aurelius Halt für seine Pfoten, und er versenkte seine Krallen, spannte seine Muskeln und sprang.
    Den Bergkamm hinab in die düstere Tiefe.
     
    »Es war die Nacht, in der die Schienen unter dem Frühzug aus Firenze nachgaben und er in die Tiefen des Apennin stürzte, als Giacomo in einem feuchten Barolo-Karton der Familie Conterno in die Welt geworfen wurde. Er war der vierte und letzte Welpe seiner Mutter, nach ihm glitt nur noch eine Totgeburt auf den modrigen Holzboden.

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