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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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ihr zu fallen. Doch schon kurz nachdem sie angefangen hatte, zu rennen und durch den Wald zu jagen, kurz vor der Grenze des Reviers, wurde sie wie von einer riesigen Hand mit eisernen Fingern zurückgeworfen. Schnell sprang sie auf und rannte los, wieder in dieselbe Richtung. Sie würde heute nicht ein zweites Mal besiegt werden. Sie würde sich nicht aufhalten lassen.
    Doch dann sah sie es und stoppte abrupt mit den Pfoten voraus. Es war riesig. Größer als ein Mensch, und bestand aus unzähligen silbernen Fäden, die kreuzweise übereinanderliefen wie gefrorene Blitze. Und als sie nach rechts blickte, endete es nicht, und auch nach links ging es immer, immer weiter. Laetitia hatte so etwas noch nie gesehen, es gehörte nicht zur Welt des Waldes, nicht zu jener der Weinberge und Felder. Sie war diesen Weg schon häufig gelaufen, auf der Suche nach Beute, auf der Flucht vor Zweibeinern, doch dieses Gebilde war nie hier gewesen. Laetitia ging in sicherer Entfernung entlang des Ungetüms, den Berg hinunter, und ein fremder Geruch, wie nach versteinerter Erde, wurde immer beißender.
    Schon bald wusste sie, warum.
    Sie hörte die Stimmen, bevor sie den Zweibeinern zu nahe gekommen war – gerade rechtzeitig, um sich im Schatten versteckt zu halten. Sie waren es, die dieses Monstrum bauten, das ihr den Weg verschloss und Aurelius den Rückweg versperren würde. Es waren viele Zweibeiner, und sie hatten Maschinen, die groß waren wie Häuser, mit Mäulern, welche die Erde fraßen.
    Grarr musste dies erfahren. Sofort!
    Also hieß es auf nach Rimella. Grarr hatte in der Höhle gesagt, dass er dorthin wolle.
    Laetitia musste nicht lange rennen, und sie sah zwischen den Bäumen das Dorf der Zweibeiner unter sich auftauchen.
    Doch ein solches war es nicht mehr.
    An beiden Ortsausgängen hatten Wölfe Position bezogen. In der Siedlung selbst patrouillierten andere Mitglieder ihres Rudels, und hinter einem Balkonfenster am Marktplatz konnte sie Grarr erkennen, der über allem thronte.
    Dies war nicht länger eine Siedlung der Menschen.
    Dies war nun das Dorf der Wölfe.
     
    Niccolò hatte keine Zeit, um nachzudenken. Die Stimmen hinter ihm wurden lauter, wütender und kamen näher. Er rammte seinen kleinen Kopf gegen das Gatter, welches metallisch ächzte, ohne nachzugeben. Blitzschnell nahm Niccolò wieder Anlauf, diesmal ein paar Schritte mehr, und versuchte es nochmals. Er schaffte es tatsächlich, das Gatter einige wenige Zentimeter nach vorne zu bringen, doch es schnellte sofort zurück, seinen schmerzenden Kopf mit voller Wucht treffend. Die Menschen kreisten ihn ein. Der kurzhaarige Wärter kam von links mit einem massiven Holzstab, an dessen Ende eine Schlinge befestigt war, von rechts näherte sich die dickbeinige Frau mit einer großen Decke, und von hinten kam ein sommersprossiges Mädchen mit zwei großen Schäferhunden, die wie tollwütig an den ledernen Leinen in seine Richtung zogen und bellten. Sie schien die beiden nicht mehr lange halten zu können.
    Der Wärter mit der Schlinge rief etwas, die Frau und das Mädchen blieben stehen. Nur das Kletterhaus trennte ihn noch von Niccolò. Es war einst für Hunde mit großem Bewegungsdrang errichtet worden. Niccolò rannte instinktiv darauf zu, wollte in die Höhe, sich in Sicherheit bringen. Obwohl sein Verstand ihm sagte, dass dieser Plan Unsinn war, jagte er mit einer solchen Geschwindigkeit hinauf, dass er oben nicht mehr anhalten konnte, springen musste, und er hob ab. Sein kleiner Körper segelte durch die Luft und über die Absperrung des Tierheims hinweg. Niccolò landeteunsanft, aber immerhin auf seinen Füßen, inmitten eines Grasstreifens. Vor ihm im Tal lag Alba und erschien wie der schönste Ort der Welt. Hinter ihm wurde verzweifelt nach dem Gatterschlüssel gesucht. Doch als er endlich gefunden wurde, war Niccolò längst nicht mehr zu sehen.
    Der Turm der Cattedrale di San Lorenzo an der Piazza Risorgimento ragte wie ein stummer Hirte aus der Altstadt hervor. Niccolò prägte sich die Lage ein, bevor er in das Meer aus alten Ziegeln eintauchte, welches sich zwischen den Hügeln bis hinein ins flache Land ausbreitete. Niccolò rannte nicht querfeldein durch Gärten und Hinterhöfe. Er ging auf dem Bürgersteig, denn er wollte nicht auffallen, sondern wirken wie ein Hund, der schon immer in der großen Stadt gelebt hatte. Er lief deshalb auch nicht zu schnell und schnüffelte nicht an allem Neuen, sondern nur an den Markierungen anderer Hunde. Niccolò

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