Tod & Trüffel
Als die jüngste Tochter des Hauses, Elena, hereinstürzte und den kleinen, völlig weißen Giacomo sah, sagte sie nur ein Wort, ›Trüffel‹, und deutete mit ihren stummeligen Fingern aufdie unförmige Nase des Welpen, die in all ihrer verwarzten Pracht wie die mit Dreck bedeckte, kostbare Frucht der piemontesischen Erde aussah.«
»So wird es erzählt?«, fragte Giacomo. Der Regen über ihnen wurde immer stärker, und aus den äußeren Löchern des Kanaldeckels rann es auf Niccolòs und Giacomos Köpfe. Sie befanden sich am unteren Ende des Kanalschachts, die Pfoten in einem Rinnsal, über dessen Zusammensetzung keiner der beiden etwas wissen wollte.
»Deine Geburt ist zu einer sehr beliebten Erzählung geworden, zu einer Legende, genau wie dein Leben. Jeder Hund zwischen Cuneo und Asti kennt die Geschichten. Wie du die Riesentrüffel gefunden hast, wie du selbst im Friedhofsgarten ein Exemplar ausgemacht hast, wie du den fremden Hunden aus einem anderen Land gezeigt hast, wozu ein piemontesischer Trüffelhund in der Lage ist. Immer und immer wieder habe ich das von meiner Mutter erzählt bekommen.«
»Wie ermüdend das gewesen sein muss, ich entschuldige mich.« Giacomo blickte nach oben, von wo das Wasser immer eisiger herabfiel. »Jetzt sollten wir wirklich los. Rechtsrum müsste der kürzeste Weg aus der Stadt sein.« Giacomo ging voran. Schnell gelangten sie in vollständige Dunkelheit. Neben ihren Augen stellten schließlich auch die Nasen ihren Dienst ein, denn über dem Gestank des Kloakenrinnsals ließ sich nicht erahnen, von wo frische Luft drang und einen Ausgang verriet. Nur ab und zu fiel für einen Sekundenbruchteil die gesprenkelte Lichtsäule eines Kanaldeckels auf den Weg.
»Muss ich die ganze Zeit leise sein?«, fragte Niccolò ängstlich.
»Spielt keine Rolle. Sie hören uns so oder so. Wir können nur hoffen, dass wir wieder draußen sind, bevor sie uns erreichen. Allerdings gibt es da ein kleines Problem.«
»Und das wäre?«
»Ich bin mir beim Weg nicht mehr sicher.«
Erst als Giacomo seine Antwort beendet hatte, wurde ihm klar, dass es nicht Niccolò gewesen war, der die letzte Frage gestellt hatte.
»Dann solltest du besser nicht hier sein« , antwortete die Stimme. Oder war es eine andere? Dachshunde klangen für Giacomo alle gleich.
»Ihr seid wirklich schnell«, sagte er und stellte sich vor. »Wir wissen, wer du bist. Du hast zusammen mit Bellachini unser Depot geplündert.«
»Ihr hattet es nicht markiert. Außerdem war noch genug da, als ich ging.«
»Aber nicht, nachdem die Zirkushunde alles ausgeräumt hatten.«
»Bin ich ein Zirkushund?«, fragte Giacomo in die Dunkelheit.
»Warum reden wir überhaupt mit ihm? Er hat hier nichts zu suchen.«
»Wenn ich etwas sagen dürfte«, war nun Niccolò zu hören. »Ich soll euch alle von ... Zamperl grüßen.«
»Zamperl? Hat er gerade Zamperl gesagt?«
»Wo steckt er? Wir dachten, ihn hätte eine große Spülung erfasst.«
Giacomo konnte nicht anders, als die Vorstellung witzig zu finden, aber er verkniff sich eine Bemerkung.
»Er ist im Tierheim.«
»Hab ich es nicht gleich gesagt? Und ob ich es gleich gesagt habe!«
»Warte! Zamperl hat mir dir gesprochen? Einem Windspiel?« »Jeden Tag, den ich im Tierheim war.«
»Wie geht es ihm?«
»Gut. Also den Umständen entsprechend. Er will natürlich wieder ... in die Kanalisation.«
»Wenn du Zamperls Freund bist, dann bist du auch unserer!« »Und was machen wir mit dem Trüffelhund?«
»Er ist mein Freund«, sagte Niccolò.
»Wer der Freund von Zamperls Freund ist, ist unser Freund. Selbst wenn er aus unserem Depot geklaut hat. Aber das war das letzte Mal, verstanden?«
»Das kann ich garantieren«, sagte Giacomo. Denn schließlich war Alba die längste Zeit seine Heimat gewesen.
»Was treibt ihr hier unten?«
»Wir müssen raus aus der Stadt, und zwar schnell. Kein Mensch darf uns sehen«, sagte Niccolò.
»Ich bring euch fort. An der Straße nach Neive gibt es eine Kanalöffnung mitten im Wald. Da sieht euch keiner. Aber weil der Trüffelhund so unförmig gebaut ist, müssen wir einige Umwege gehen.«
Giacomo sagte nichts zu dieser Beleidigung durch einen Dachshund. Deren Äußeres erinnerte ihn immer an Mortadellas auf Füßen. Gemeinsam mit Niccolò folgte er dem leisen, platschenden Getrappel ihres Führers, scheinbar endlos lang durch Gänge und Abzweigungen. Sie durchschritten mannshohe Röhren, Hallen, in denen Seen in rechteckigen Bassins schwappten,
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