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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Boden fast völlig, als Giacomo stehen blieb, die Augen öffnete und Niccolò anblickte.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob du das willst.«
    »Was wollen? Wovon redest du? Hast du die Spur verloren?« Er drehte sich um. »Dann lass uns wieder zurückgehen und von vorne anfangen.«
    »Nein, nein, ich hab sie nicht verloren. Ich hab sie verfolgt. Bis zum Ende.« Er deutete mit der Schnauze auf eine Erhebung im Waldboden, die mit Blättern, Ästen und Moos bedeckt war.
    »Du meinst, da drunter ? Dann ist er ... «
    »Riech doch hin. Er ist schon lange tot. Einen Teil seines Körpers hat sich der Wald bereits zurückgeholt. Willst du ihn sehen? Dann leg ich ihn frei, Kleiner. Überleg es dir gut, den Anblick vergisst du nie. Vielleicht solltest du ihn besser lebendig in Erinnerung behalten.«
    Niccolò zögerte, dann gab er Giacomo durch einen Blick zu verstehen, dass er Abschied nehmen wollte. Von Angesicht zu Angesicht. Der alte Trüffelhund scharrte den Körper frei. Unter der fauligfeuchten Kleidung war die Brust eingefallen, aus Öffnungen krochen Maden hervor, Fliegen hatten ihre glasigweißen Eier in ein tiefes Loch in der Herzgegend gelegt.
    »So eine Wunde kenn ich. Dein Mensch wurde erschossen«, sagte Giacomo. »Ich lass dich jetzt mal allein.«
    »Nein, bitte bleib hier. Geh nicht weg.«
    Und er blieb. Sie schwiegen lange. Zum Abschied leckte Niccolò seinem Menschen über jene Wange, die noch zum größten Teil intakt war, und wandte sich mit gesenktem Kopf ab. Er sprach erst wieder, als sie aus dem Wald herausgetreten waren und die Sonnenstrahlen ihre Häupter wärmten.
    »Was sollen wir jetzt tun, Giacomo?«
    »Wenn du seine Katze wärst, würdest du ihn wahrscheinlich anknabbern. Aber so sind wir Hunde nicht. Wir können gar nichts mehr machen. Er hat seinen endgültigen Platz auf dieser Welt gefunden.«
    »Das meine ich nicht. Was machen wir jetzt wegen meiner Menschenfrau und dem Menschenkind?«
    »Tut mir leid, wenn ich das sagen muss, Kleiner, aber das war’s. Von denen habe ich außerhalb des Hauses nur bis zur Straße etwas riechen können. Danach nichts mehr.«
    Niccolò blickte Giacomo intensiv an, seine kleinen Augen schienen mit jedem Wort zu wachsen. »Wir müssen sie finden!Ich gebe nicht auf, bis ich weiß, was mit ihnen geschehen ist. Hörst du, Giacomo? Wir müssen sie finden, selbst wenn sie beide tot sind!«
    »Du weißt, dass du dein altes Leben niemals zurückbekommst, oder? Das ist dir doch klar?«
    Doch das war es nicht. Bis zu diesem Moment. Es war für Niccolò, als liefe er gegen eine Wand. Aus vollem Lauf. Sein altes Leben war fort, und es war nie so glänzend gewesen, wie er es gesehen hatte. Giacomo hatte Recht, als er vorhin über die schäbige Hütte und das schlechte Essen gesprochen hatte. Viel mit ihm gespielt hatten sie auch nicht. Das kannte er nur aus den Erzählungen der anderen. Er war für die Tochter, Gianna, geholt worden. Doch die hatte nach einigen Monaten das Interesse verloren und sich ein Pferd gewünscht, das sie dann auch bekommen hatte. In einer Koppel bei Alba stand es. Keine Zeit hatte sie seitdem mehr für ihn gehabt, nur auf ihre Pferdeposter gestarrt und mit ihren Plüschgäulen gespielt. Er hatte immer nur gestört und sich dann an den Vater gewandt. Der ließ ihn ab und an wenigstens auf seinen Schoß springen, manchmal kraulte er ihn sogar. Das hatte Niccolò viel bedeutet, denn mehr hatte es nicht gegeben. Und er hatte sich nie eingestehen wollen, dass liebende Menschen viel mehr gaben.
    Dieses Leben war vorbei.
    »Was kommt jetzt?«, fragte er Giacomo. »Für mich?«
    »Ich bin nur eine Nase auf vier alten Beinen«, sagte Giacomo. »Es kommt bestimmt was. Es kommt immer was. Ob es gut ist, weiß ich nicht. Aber was willst du machen? Es kommt so oder so.«
    »Das hilft mir nicht weiter.«
    »Du bist ein freier Hund, wer kann das schon von sich sagen? Die ganze Langhe steht dir offen. Es ist genug Platz da zum Leben.«
    »Es ist viel Platz da zur Suche, Giacomo. Vielleicht erhalteich mein altes Leben nicht zurück, und wahrscheinlich würde ich es auch nicht mehr wollen. Aber vielleicht gibt es noch einen Teil davon, auf den ich aufbauen kann. Und vielleicht wird es besser, als es vorher war. Das ist doch einen Versuch wert. Das wünsche ich mir, verstehst du?«
    Giacomo wusste keine Antwort mehr und schwieg deshalb. Sie saßen lange da, und die Sonne sank immer tiefer in den dunkelblauen Himmel, als sei sie erschöpft vom vielen Brennen. Der alte

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