Tod & Trüffel
Trüffelhund blieb an Niccolòs Seite. Der Kleine weiß nicht mehr wohin und wofür, dachte Giacomo, doch sein Magen wird ihm auf beides bald eine Antwort geben.
Doch vorher geschah etwas ganz anderes.
Aus dem Wald traten, einer nach dem anderen, fünf Hunde und stellten sich im Kreis um sie. Sie glichen Skeletten, kaum Fleisch war an ihren Flanken, ihre Augen trieben unruhig in den Höhlen. Niccolò erkannte sie, wenn auch nicht sofort. So hatte er sie nicht in Erinnerung.
Ein Bassett stand ihm am nächsten. Die Ohrenspitzen des alten Freundes waren vom kraftlosen Schleifen auf dem Boden wund, der Glanz in den Augen war erloschen. »Beppo! Der gute Beppo!«, rief Niccolò, und der Bassett nickte traurig. Freundschaftlich stupste Niccolò ihn, mit dem er so oft spielerisch gerauft hatte, in die Flanke und beschnüffelte ihn so, wie es sich gehörte. Beppo tat es ihm nur zögerlich nach.
Beim nächsten Hund, einem Boxer, musste Niccolò schon genau hinschauen, um den Halbstarken zu erkennen, der sich hinter der ausgezehrten Maske verbergen musste. »James Dean, was ist mir dir passiert?« Seine Menschenfrau, Gigliola, die mit ihrem Mann Marco die kleine Trattoria des Ortes führte, hatte ihm einen schwarzen Lederumhang mit Nieten und Reißverschlüssen schneidern lassen, damit eraussah wie ihr Idol. Dieser hing nun zerschlitzt an seinem Körper, wie abgerissene Haut.
»Was soll passiert sein, Niccolò? Mir geht es gut. Ging mir noch nie besser! Ich weiß nicht, was du meinst.« James Dean reckte stolz das Kinn. Es sah erbärmlich aus.
Neben ihm stand Blitz, ein ehemals dicker Chow-Chow, der seinem Namen wegen eines fehlenden Beines niemals hatte Ehre machen können. Auch der Golden Retriever von Donadoni, dem Metzger, war Teil der Runde. Sein Mensch hatte ihn immer nur Hund gerufen, weswegen die Vierbeiner Rimellas ihn auf den Namen ›Knorpel‹ getauft hatten. Denn das war es, was er anderen an guten Tagen abgetreten hatte. Er hatte immer herrlich nach frischem Fleisch und Blut geduftet, doch davon war nun nichts mehr zu riechen.
Letzte in der Runde war eine kleine Hündin. »Du musst Franca sein. Oder? Bist du das, Franca?«
Die Pekinesenhündin wandte beschämt den Kopf ab. Sie hatte Signorina Elisabetha, der Inhaberin des Friseursalons, gehört und war mit ihrem nun verfilzten Fell kaum zu erkennen. Dabei hatte sie früher immer sehr auf sich geachtet. Und andere wegen ihrer Frisuren verspottet.
»Schön, dass du wieder bei uns bist«, sagte Beppo nun und bedeutete ihm zu folgen. »Komm mit, wir bringen dich zu Sylvio.«
»Sylvio? Aber der ist doch tot. Ich habe es selbst gesehen! Sein ganzer Bauch stand offen.«
»Er wird sich freuen, er wird sich sehr, sehr freuen!«
Einatmen, ausatmen, eingetaucht in das Braungrün des Zeltes, das sich um sie geschlossen hatte wie eine fleischfressende Pflanze und sie straff gespannt niederdrückte, so dass jede Bewegung unmöglich war. Die Plane schien immer näher zu kommen, als wolle das Zelt sie verdauen. Und die Luft wurde immer knapper, das, was noch da war, schmecktealt und fahl. Der Mann war schon lange weg, es kam Canini in diesem Gefängnis wie eine Ewigkeit vor, und Isabella war nicht zurückgekehrt. Dabei wurde die Sonne bereits schwächer, kroch immer mehr Schwarz in das Braungrün.
»Um Gottes willen! Canini! «
Isabellas Stimme. Die kleine Spanielhündin wollte zu ihr springen, ihr durch das Gesicht lecken, sich drücken lassen. Doch sie konnte sich nicht bewegen, zu eng lag die Zelthaut auf der ihren, einen Laut brachte sie auch nicht mehr hervor, ihr fehlte die Kraft und noch mehr die Luft.
»Lebst du noch? Sag doch was!« Die Zeltplane vibrierte, als Isabella zu ertasten versuchte, wo ihre Hündin lag. Dann fühlte Canini ihre Hand, warm selbst durch den Stoff, zärtlich fuhr sie über ihren Rücken. »Da bist du ja! Beweg dich doch, Canini. Beweg dich! «
Isabella schubste und drückte, doch da war kein Platz, um sich zu regen. Wie gern hätte Canini sie beruhigt, wie gern ihr die Angst genommen. Und um wie viel mehr wollte sie dieses Gefängnis verlassen.
Isabellas Hände verschwanden. Dann war ein Ächzen in der Luft, ein Schnaufen und Pressen.
»Verdammt, verdammt, verdammt! Ich bekomme diesen Baumstamm nicht runter!«, schrie Isabella wütend. »Der will sich nicht rühren!« Canini kannte diese unbändige Wut Isabellas von den Momenten, wenn sie als junge Hündin Kleidung zerfetzt hatte, die nicht unbedingt dafür vorgesehen
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