Tod & Trüffel
Schweiß gefangen haben würde. Er schob mit der Schnauze den Rattandeckel auf und versenkte den Kopf tief hinein, sog den Geruch in kurzen schnellen Schüben ein. Ein Bild in seinem Kopf entstand, so klar, als stünden die beiden Menschen vor ihm, er kannte nun ihre Größe, ihren Körperbau, er wusste sogar, was sie gerne aßen. Es steckte alles in dieser Kleidung, Spuren ihres Lebens.
»Bin so weit, Windspiel«, sagte Giacomo, als er wieder in die Küche trat. »Was starrst du so auf das blöde Hundefutter? Das ist doch billiges Zeug. Schund, weiter nichts. Friss das nicht!«
Es waren Niccolòs Leckerchen, oder das, was er dafür gehalten hatte. Er würde eine Packung aufbeißen und etwas essen. Vielleicht ging es ihm besser, wenn er den Geschmack seines alten Lebens im Maul hatte.
Die Wölfin kam aus dem Nichts.
Sie hatte Fell wie ein Fuchs, doch Augen wie ein ausgehungerter Vielfraß. Die Welt schien nur noch aus ihr zu bestehen.
Niccolò sah, wie der alte Trüffelhund im Bruchteil einer Sekunde reagierte und den rechten Hinterlauf der Wölfin attackierte. Nachdem diese wimmernd zusammengebrochen war und sich das verletzte Körperglied leckte, zog Giacomo ihn harsch am Nacken fort. Als die Wölfin bemerkte, dass die beiden flohen, folgte sie ihnen auf der Stelle, den Schmerz unterdrückend. Und sie heulte auf, die anderen ihres Rudels herbeirufend.
Als Giacomo und Niccolò aus dem Haus in die kleine Seitengasse rannten, warteten dort bereits andere Wölfe, große, unheilvolle Gesellen, angelockt vom Ruf der Wölfin. Doch sie schienen überrascht, zwei Hunde zu sehen, und rührten sich zunächst nicht, was den Flüchtenden einige Meter Vorsprung einbrachte. Erst als die Wölfin vorbeischoss, folgten auch die anderen. Niccolò lief nun vorneweg, Giacomo kam nicht so schnell mit, war unsicher, kannte hier kein sicheres Versteck. Schließlich erwischte ihn die Wölfin seitlich, ihre Zähne schlossen sich um das Fell an seinem Rücken, Giacomo hörte ein Reißen, spürte ein Brennen. Dann ließ die Wölfin plötzlich ab. Er blickte sich um, Fell klebte an ihrem Maul, doch kein Blut, und er rannte weiter, sah Niccolò. Der Dummkopf hatte auf ihn gewartet, anstatt sich in Sicherheit zu bringen! Dort, wo die Straße in einen unbefestigten Weg überging, der durch ein Feld führte, bepflanzt mit Kohl, Bohnen und Tomaten. Drei Schweine standen in einem Gatter und grunzten unbeeindruckt von den Geschehnissen vor sich hin.
Mit einem Blick erkannte Giacomo den einzigen Ausweg.
» Spring! «, schrie er Niccolò zu und stürzte sich in eine alte, rostige Badewanne, bis obenhin gefüllt mit Gülle. Dutzende fette grüne Fliegen kreisten darüber, um ihre Rüssel tief hineinzutauchen. Niccolò war die Wanne nie aufgefallen. Aber die Grassos, die hier gelebt hatten, gehörten nicht zu den Menschen, die viel für Hunde übrighatten.
Er sprang beherzt zu Giacomo. Nur seine Schnauzenspitze tauchte wieder auf, gerade so weit, dass er atmen konnte. Auch vom alten Trüffelhund war nur noch das unförmige Geruchsorgan zu sehen.
Die Wölfin ließ ihren Blick schweifen, langsam und eindringlich, als durchleuchte sie jeden Stein einzeln. Die anderen Wölfe kamen heran, wandten sich jedoch wieder ab, als sie keine Spur von den Hunden erblicken konnten.
Giacomo streckte langsam den Kopf aus der Gülle, um zu prüfen, ob die Luft wieder rein war. Die Wölfin stand immer noch da, und sie blickte genau in seine Richtung. Trotz seiner Angst kam er nicht umhin, das elegante Geschöpf zu bewundern, welches die Würde und edle Natur der Wolfsrasse so perfekt zum Ausdruck brachte.
Dann drehte sich die Wölfin um und rannte zurück ins Dorf.
Mit der Schnauze stupste Giacomo den immer noch untergetauchten Niccolò an, der daraufhin nach Luft schnappend wieder an die Oberfläche kam. »Und was jetzt?«, fragte er, nachdem er sein Maul von Gülle befreit hatte.
Giacomo sprang aus der Badewanne. »Dumme Frage. Ich habe Witterung aufgenommen, was sonst? Es ist dein Herrchen, sein Geruch liegt in der Luft. Lass uns der Spur folgen.« Die Gülle hörte nicht auf, von ihm zu tropfen. »Aber vorher ein Bach. Wenn sich keiner findet, bin ich auch für eine tiefe Pfütze dankbar.«
Caninis Welt war seit über zwei Stunden dunkel und bestand nur noch aus Motorgeräuschen und der Stimme von Isabella, die alte italienische Schlager trällerte. Dazu kamen sehr unsanfte Bewegungen, denn Isabella fuhr noch schlechter, als sie sang. Doch nachdem der
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