Tod & Trüffel
mehr in sie hineingepasst, bis das Glück ihre Körper vollends ergriffen hatte.
»Anscheinend nicht«, sagte Giacomo, der sich nicht sicher war, auf welche Antwort Grarr gehofft hatte. »Zumindest dein Leben hat sich stark geändert.« Er blickte sich um. »Ein ungewöhnliches Plätzchen für einen Wolf. Aber sehr angenehm. Viele Hunde würden sich hier sehr wohl fühlen.«
»Willst du mich necken, alter Freund? Oder mich einfach nur beleidigen? Wo ein Wolf ist, da darf er auch sein. Wir müssen uns von den Zweibeinern nichts gefallen lassen. Wir sind gleichberechtigt.«
»Weil einmal eine der Euren zwei Menschen großgezogen hat?«
»Das war ein Pakt, ja. Aber der Grund ist, dass wir und die Zweibeiner Jäger sind, und Jäger lassen sich ihren Raum. Sie sollten einander nicht vertreiben und wie Beute jagen. Es geht um Respekt, Giacomo, gegenseitigen Respekt. Unter Gleichen. Das ist für euch Hunde sicher schwer zu verstehen.«
»Wir gehen Freundschaften mit den Menschen ein«, sagte Giacomo und wusste, dass es leider nur zu oft nicht stimmte.
»Jetzt hör doch auf! Ihr werdet verkauft. Ihr seid Besitz, Gefangene.«
»Wir haben uns domestizieren lassen , es ist der gewählte Weg unserer Vorväter. Im Gegenzug erziehen wir oft genug die Menschen. Sie merken es nur nicht, wenn sie uns bestes Futter bringen und eine saubere Heimstatt bieten.«
»Hast du Trüffel gefressen, oder wie schaffst du es, deine Gedanken so zu verdrehen?«
»Es ist noch keine Saison«, sagte Giacomo. »Aber sehr, sehr bald. Sie werden reif, sie kitzeln schon an meinen Pfoten, wenn ich über den Boden laufe. Sollen wir noch mal gemeinsam, wie vor langer Zeit ... ?«
»Was willst du wirklich, Giacomo? Wir wissen doch beide, dass das hier kein nettes Wiedersehen ist. Krieg herrscht, und du stehst auf der Gegenseite. Du bist einer der Angreifer. Wir verteidigen nur, was uns zusteht.«
Giacomo ging zum größten Fenster des Zimmers und sprang auf den Sims. » Das soll euch gehören? Ich sehe Straßen aus Beton, Laternen mit falschem Licht und unbewachsene Mauern. Das ist nie für euch gedacht gewesen. Eure Pfoten sind nicht hart genug für diesen Boden, Grarr. Bald wird Blut daran kleben.«
Grarr sprang auf den Sims neben ihm, doch er setzte sich nicht, sondern blieb stehen und hob das Haupt. »Deine Augen sehen wenig. Du siehst nur das Hier und Jetzt. Vor Jahrzehnten waren hier Wälder, herrschten Wölfe. Es war einst unsere Heimat, Giacomo! Und wir setzen jetzt und hier ein Zeichen, ziehen eine Grenze. Viele helfen uns, freie Tiere wie wir, deren Reviere, deren Leben bedroht ist. Wie viele Bewohner der Wälder und Wiesen sind schon ausgerottet? Jäger wie Beute? Hier ist Schluss. Die Menschen haben denOrt von sich aus verlassen. Wir sind eingezogen, jetzt ist es wieder unsere Heimat!«
Grarrs Zähne zeigten sich, schimmerten intensiv gelb im Sonnenlicht. Und verdammt scharf.
»Ich kann deine Sichtweise verstehen«, sagte Giacomo und senkte den Kopf. »Aber jetzt wollen sie wieder zurück in ihre Häuser. Und die Dorfhunde, ohne Frage eine verwöhnte und verhätschelte Truppe, werden langsam«, er stockte, »verrückt. Um es deutlich zu sagen: Die drehen total durch. Aber einer ist dabei, der ist wie wir, als wir jung waren. Niccolò heißt er, ein Windspiel. Keine Ahnung vom Leben, aber alles für möglich halten. Ein Träumer.«
»Die Zeit des Träumens ist leider lange vorbei. Es gibt viele andere Dörfer, mit vielen anderen Häusern. Wir wollen nur dieses eine Dorf. Mehr nicht. Ist das denn zu viel verlangt? Wenn du und deine Hundefreunde es wollen, kommt es euch doch holen. Freiwillig werden wir es aber niemals zurückgeben.« Er sprang hinunter, die angelehnte Tür wurde aufgestoßen. Giacomos Wolfseskorte stand dahinter. Sie sah hungrig aus.
»Ein letztes Mal freies Geleit für dich, alter Freund. Niemals wieder.«
»Ich habe noch etwas gut bei dir«, sagte Giacomo und bewegte sich nicht. »Du erinnerst dich an den jungen Jäger mit der Schrotflinte? Und an die mickrige Grube? Ich dachte ... «
»Es gibt keinen Gefallen mehr einzufordern. Er ist hiermit eingelöst. Du lebst einzig aus diesem Grund noch. Sag deinen Hundefreunden, dass wir sie töten werden, wenn sie unser Dorf betreten.«
Grarr drehte sich um, sprang in Richtung Sims, öffnete das Maul, und plötzlich fand sich Giacomo unter dem alten Spielkameraden, dessen Zähne am Hals, zudrückend, dort, wo die Luft durch die Kehle drang. »Ich rette dich vor
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