Tod & Trüffel
trinken dürfen, braucht man schließlich zum Leben.« Damit verschwand sie zwischen den Bäumen, den Weg zum Tümpel einschlagend.
In Niccolòs Kopf explodierte eine Bombe.
Seit Langem schon brannte eine Lunte. Doch es hatte keinen Sprengsatz gegeben, an dem sie befestigt werden konnte. Jetzt war er da. Dank Canini.
Niccolò wusste nun, wie er die Wölfe aus Rimella bekommen würde. Es gab jemanden, mit dem er seine Idee teilen wollte. Einen Dobermann namens Junior.
Er wählte den direkten Weg, den ungeschützten, der ihn am schnellsten zur Weinkellerei brachte. Oder zumindest bringen sollte. Er rannte schnell, versuchte nicht, leise oder unauffällig zu sein, sprang sogar übermütig voran und gab ab und an freudige Kläffer von sich.
In einer still schlafenden Natur.
Als er gegen das riesenhafte Wildschwein stieß, war er gerade mitten in der Luft. Der Eber war viel härter, als es Niccolò erwartet hätte – wenn er in diesem Moment etwas erwartet hätte.
»Komm’ von ’än Mänschn«, sagte eine Stimme, die mit etwas weniger Artikulation als Magenknurren hätte interpretiert werden können. »Gehört zu ’änen. Tötn.«
Die Augen der Rotte funkelten nicht in der Nacht. Sie wirkten wie Löcher im Dunkel, die zu einer noch düstereren Welt führten. » Tötn! Tötn! Tötn! «, erklang es von überall um Niccolò herum. »Für dä’ Wölf! «
Wo war nur Giacomo? Jetzt brauchte er ihn so sehr, seine Erfahrung, seine Gewieftheit, seine Ruhe. Der alte Trüffelhund würde wissen, was zu tun wäre.
Die verdammten Besatzer hatten sich die Bestien also zur Verstärkung geholt. Er musste sie aufhalten, sich ihnen entgegenstellen, er musste zu dem Hund werden, von dem er Canini eben so stolz erzählt hatte.
Der mächtige Eber, gegen den er gestoßen war, dessen Hauer aussahen, als könnten sie den Himmel selbst auftrennen, näherte sich ihm mit messerscharfen Spitzen. »Kläina Hund! Läcka«, grunzte er. Der Kopf senkte, das Maul öffnete sich. Alles ging viel schneller, als Niccolò erwartet hatte, der von diesen Kreaturen immer nur gehört, aber nie eine gesehen hatte.
Jetzt würde er kämpfen!
Es allen zeigen.
Vor allem sich.
Er rannte. Und zwar blitzschnell an den Hauern vorbei, als sie gerade in die andere Richtung schwenkten, schoss an der Flanke des Ebers entlang in die Dunkelheit und ließ die aufgrunzenden Wildschweine nach wenigen Metern hinter sich, denn die Nacht hatte ihn in ihrer Unersättlichkeit verschluckt.
»Wiä kriegän dich noch!«, hörte er den großen Keiler brüllen. »Väsproch’n!« Dann war etwas zu hören, das für die Wildschweine wohl Lachen bedeutete, doch für Niccolò klang es, als würden große Felsbrocken bewegt.
Wieder rannte er ohne Vorsicht, doch diesmal stieß er gegen keine Wand aus Pelz. Das Weingut drückte sich an den Hügel, als verspreche er Schutz. Es schimmerte nur schwach aus zwei Fenstern. Noch außer Atem schaffte es Niccolò, zweimal kurz zu bellen. Ein Vorhang wurde zur Seite geschoben, und einige Minuten später öffnete sich die Haustür, begleitet von einem »Um die Uhrzeit musst dunoch raus? Als wärst du ein kleines Mädchen. Beeil dich verdammt noch mal!« Die Tür blieb einen Spalt geöffnet.
Der Dobermann ging schnurstracks auf Niccolò zu. »Was Wichtiges, hoffe ich?« Es klang, als würde er ihm ein Ohr abreißen, wenn dem nicht so wäre.
»Klar, sonst hätte ich mich nicht mitten in der Nacht auf den Weg gemacht und eine Wildschweinrotte ... ausgetrickst. Ist die Verstärkung für die Wölfe, und genau um die geht es.«
»Das hatte ich gehofft.«
»Ihre Schwachstelle, die ist mir jetzt klargeworden.«
Der Dobermann kam näher und schnüffelte an Niccolò. »Ich rieche deine Angst. Wovor hast du Angst? Was führst du im Schilde?«
»Was redest du da für einen Blöd...«
»Vorsicht, Windspiel! Ich bin ein Krieger, kein Spieler. Und mein Gegner sind die Wölfe. Wenn du auf meiner Seite bist, hast du einen starken Verbündeten. Doch vor Verbündeten hat man keine Angst, nicht wahr? Bist du also gegen mich ...«
Niccolò ging nicht darauf ein. Er begriff nicht, warum sein Gegenüber plötzlich so schroff war, wollte nur endlich mit der guten Nachricht herausrücken.
»Der Brunnen! Auf der Piazza. Alle Wölfe trinken daraus, weil ihr Leitwolf, der weiße, es auch macht. Wenn das Wasser verdorben wäre, würde es alle Wölfe treffen. Das ist die Gelegenheit!«
Der Kopf des Dobermanns legte sich verwundert zur Seite. »Hinter dem
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