Tod an der Förde
erwiderte Horstmann. »Ich habe mit den
jungen Leuten gesprochen, denen der Tote vor die Füße gefallen ist. Die haben
nichts bemerkt. Sie haben den Mann erst wahrgenommen, als er von der anderen
Straßenseite herübertorkelte und direkt vor ihnen zusammengebrochen ist. Sonst
haben sie niemanden gesehen, nicht einmal einen Schatten.«
»Mist«, fluchte Vollmers. »Keine Idee, ob er eventuell
aus einem der Häuser gekommen ist?«
»Nichts. Aber Ingo und Babs sind schon unterwegs und
klappern die Nachbarschaft ab.«
Horstmann meinte die anderen Mitarbeiter der
Mordkommission, Oberkommissar Küster und Kommissarin Scholtz.
Vollmers wusste, dass er sich auf seine Kollegen
verlassen konnte. Der erste Angriff nach einer Tat, wie die ersten Aktivitäten
im Polizeijargon hießen, war von entscheidender Bedeutung. Spuren, die dabei
übersehen wurden, waren später kaum noch zu rekonstruieren.
Die beiden wurden durch einen Mann abgelenkt, der erst
nach einer Diskussion mit den Beamten der Schutzpolizei die Absperrung überwinden
konnte und auf sie zukam.
Unter seinem offenen Blouson trug er ein weißes
Poloshirt. Die dunkelblaue Jeans und die Laufschuhe unterstrichen den Eindruck,
dass der hoch gewachsene Mann mit dem schütteren dunklen Haar aus dem
Feierabend abberufen worden war. Der dichte Schnauzbart im schmalen Gesicht,
der an ein Walross erinnerte, verlieh ihm auf den ersten Blick einen traurigen
Eindruck.
»’n Abend, Herr Kremer«, begrüßte Thomas Vollmers den
trotz seiner schwindenden Haarpracht jugendlich wirkenden Staatsanwalt.
Vollmers schilderte in kurzen Zügen, was sie bisher in
Erfahrung gebracht hatten.
»Wissen Sie schon, wer der Tote ist?«, fragte der
Staatsanwalt.
Hauptkommissar Vollmers verneinte. »Nein. Das können
wir noch nicht sagen.« Er betrachtete den Toten. Der war mit einer dunklen
Stoffhose bekleidet. Die Füße steckten in schwarzen Halbschuhen. Über dem
karierten Hemd trug er einen leichten gelben Pullover, dessen Kragen vom
vollen, fast blauschwarzen Haar bedeckt wurde. Das lag sicher auch am leicht nach
hinten geneigten Kopf.
Einer der Kriminaltechniker schwenkte ein Papier. »Das
ist ein argentinischer Reisepass. Der Mann heißt José Felipe Hernandez und ist
achtundvierzig Jahre alt.«
»Wie kommt ein argentinischer Staatsbürger nach
Kiel?«, fragte Vollmers.
»Und warum lässt er sich hier ermorden?«, ergänzte
Staatsanwalt Kremer.
Die drei schwiegen einen Moment und blickten auf den
Toten zu ihren Füßen. Dann gingen sie gemeinsam zum Fundort der Waffe.
»Das Messer sieht ungewöhnlich aus. Diese Form und vor
allem die Größe sind in unseren Breitengraden selten. Man müsste prüfen, ob es
sich um eine Waffe handelt, die auch aus Argentinien stammt«, sagte Vollmers.
Sein Kollege Horstmann stimmte ihm zu. »Du meinst, es
könnte eine Auseinandersetzung unter Südamerikanern gewesen sein? Aus einem uns
unerklärlichen Grund hat es einen Streit mit tödlichem Ausgang gegeben. Die
Menschen dort haben ein anderes Temperament als wir kühlen Holsteiner.«
»Bei Ihrer These ist Vorsicht geboten«, bremste ihn
der Staatsanwalt. »Argentinien gilt als das europäischste Land in Südamerika.
Im Unterschied zu anderen Staaten der Region wurde es überwiegend von
Einwanderern aus der alten Welt bevölkert. Darum finden Sie dort auch kaum
Indianer oder Schwarze. Aber natürlich könnte es ein Ansatzpunkt für unsere
Ermittlungen sein.«
Sie beobachteten stumm die akribische Arbeit der
Spurensicherung, bis die beiden anderen Beamten der Mordkommission auftauchten.
»Es ist wie immer«, stöhnte Oberkommissar Ingo Küster.
»Ein halbes Dutzend Leute ist sich sicher, dass nur einer ihrer Nachbarn als
Mörder in Frage kommt. Gründe dafür gibt es massenhaft. Die hören die falsche
Musik, sind zu laut – oder umgekehrt: Man nimmt sie kaum wahr. Da verkehren
ständig andere Frauen – oder Männer. Das ganze Spektrum. Aber etwas Konkretes
war nicht dabei.«
»Seid ihr auf Ausländer gestoßen?«, wollte Vollmers
wissen.
Kommissarin Scholtz übernahm es zu antworten. »Ja,
sicher. Türken, Polen, ein Schwede, ein Ami – soll ich die geografische
Aufzählung fortsetzen?«
»Waren da Südamerikaner drunter?«
Küster und Scholtz sahen sich an. Dann schüttelte der
Oberkommissar den Kopf.
»Nee! Die haben wir nicht angetroffen.«
»Schade«, mischte sich der Staatsanwalt ein.
»Das wäre auch zu einfach gewesen«, meinte Vollmers.
»Das einzig Bemerkenswerte, was eine
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