Tod an der Ruhr
begossen wurde. Mancher Kappesbauer sorgte in der Marktschänke dafür, dass der Geldbeutel, der sich gerade gefüllt hatte, auf dem Heimweg nicht mehr ganz so schwer wog.
Selbst jetzt, am frühen Mittwochabend, hockten noch drei Büdericher Bauern beieinander und stießen mit Ostrogges Bier auf die braven Sterkrader und ihren ständig steigenden Kappesbedarf an.
Händel, wie Grottkamp sie gerade im Gasthaus »Zum dicken Klumpen« erlebt hatte, hatte es in der Marktschänke noch nie gegeben.
Die Kappesbauern waren verträgliche Leute, vor allem wenn sie gute Geschäfte gemacht und von Ostrogges gutem Bier getrunken hatten.
Für die Sterkrader, die beim Gemeinderat Kaspar Ostrogge in der Gaststube saßen, galt das erst recht. Sie führten einen der viel besuchten Einkaufsläden am Markt oder am Kirchplatz. Sie übten ein ehrbares Handwerk aus oder hatten einen rentablen Bauernhof geerbt. Sie besaßen ein paar einträgliche Mietwohnungen oder hatten sich auf der Hütte hochgearbeitet zum Vorarbeiter oder gar zum Meister.
Die wichtigsten Männer von Sterkrade allerdings, die suchte man in der Marktschänke vergeblich. Die Hüttenchefs und ihre Herren Ingenieure, Pfarrer und Ärzte, Gemeindevorsteher, Anwalt und Apotheker, sie alle traf man in keinem der Sterkrader Gasthäuser an. Die Honoratioren zogen es vor, unter sich zu bleiben. Schon seit siebenundzwanzig Jahren gab es inzwischen ihre »Gesellschaft Erholung« die von den Sterkradern nur »das Klübchen« genannt wurde.
»Sag mal, Kaspar, dass die hohen Herren des Klübchens nicht mehr nebenan beim Kremer ihr Domizil haben, wirkt sich das eigentlich auf dein Geschäft aus?«, fragte Grottkamp den Wirt der Marktschänke.
»Nein, überhaupt nicht. Von den Herrschaften hat sich ja ohnehin keiner bei mir blicken lassen. Der alte Lueg, der kam ab und zu hier rein und hat sich zu den Leuten gesetzt. Der wollte noch wissen, wo seinen Sterkradern der Schuh drückt. Und mein Pils, das hat ihm auch geschmeckt. Aber so einen wie den, so einen findest du heute nicht mehr.«
»Aber für den Kremer, für den wird’s wohl bitter sein«, vermutete Kerseboom. »Wenn die Herren des Klübchens nicht mehr bei ihm verkehren, dann kann er doch dicht machen.«
»Ach was, der Kremer und seine drei Schwestern, die haben doch ihr Scherflein im Trockenen. Nein, guck mal, die hatten jetzt siebenundzwanzig Jahre lang ihre Gaststube an die Gesellschaft Erholung vermietet. Was die in dieser Zeit an Mietzins und vor allem an Pfropfengeld kassiert haben, das ist schon reichlich. Außerdem hat der Kremer als Hüttenmeister auch nicht schlecht verdient.«
»Was ist denn Pfropfengeld?«, wollte Arnold Kerseboom wissen.
»Das kassiert ein Wirt für jede Flasche Wein oder Bier, die er dir öffnet, wenn du in ein Gasthaus gehst und deine eigenen Getränke mitbringst.«
»Wer bringt denn sein eigenes Bier mit in ein Wirtshaus?«, fragte Kerseboom verwundert.
»Na, zum Beispiel die hohen Herrschaften der Gesellschaft Erholung. Was ein Sterkrader Wirt denen vorsetzt, das ist für die verwöhnten Gaumen der Klubmitglieder nun mal nicht gut genug. Die lassen sich ihr Bier aus Essen herankarren, und seit vorigem Jahr haben sie sogar eine Weinprüfungs-Commission. Das sind fünf Herren, die nach ausgiebigem Kosten nur die besten Weine für die Gesellschaft ordern.«
»Eine seltsame Einrichtung, dieses Klübchen«, befand Arnold Kerseboom.
»Das ist es eigentlich nicht. Solche Klübchen sind durchaus in Mode«, wusste Kaspar Ostrogge.
Nach dem Vorbild englischer und französischer Klubs hatten sich schon in etlichen rheinischen Städten honorige Bürger zu Gesellschaften zusammengeschlossen. In ihren Kasinos entspannten sich die wichtigen Herren des Abends bei einigen Gläschen, rauchten und debattierten miteinander und ergötzten sich daran, unter sich zu sein. Ihren feinen Gesellschaften gaben sie so erbauliche Namen wie Erholung und Eintracht, Harmonie und Concordia.
An die Gründung der Gesellschaft Erholung erinnerten sich Martin Grottkamp und seine Schulfreunde, die damals vierzehnjährige Knaben waren, noch recht genau, zumindest an das, was damals darüber erzählt wurde. Die wichtigen Herrschaften des Dorfes, unter ihnen einige Führungspersönlichkeiten der Hüttengewerkschaft, der Arzt, der Apotheker und der junge Gemeindebeamte Carl Overberg, trafen sich in den dreißiger Jahren schon regelmäßig in der Gaststube der Geschwister Kremer am Markt.
Mit der Polizeistunde nahmen die
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