Tod an der Ruhr
Bruders war er nicht gesegnet. »Dafür wärst du ja dann wohl zuständig«, meinte er lächelnd.
»Wieso ich?« Martin tat empört. »Du bist der Altere, und du brauchst einen Erben für den Hof.«
»Lass mal gut sein, Bruder. Was nicht ist, das ist eben nicht.«
»Sehnst du dich denn nie danach, mit einer Frau zusammen zu sein?« Erst als die Frage ausgesprochen war, kam Martin Grottkamp in den Sinn, dass es ihm vielleicht nicht zustand, sie dem Älteren zu stellen.
Paul schwieg.
»Warum heiratest du eigentlich nicht die Sybilla?« Diese Frage war so naheliegend, die durfte der Bruder ihm nicht übel nehmen. »Sie ist doch ein anständiges Mädchen und fleißig, und recht hübsch ist die Sybilla noch dazu.«
»Sie ist die Tochter vom alten Sebastian und unsere Magd und wie eine Schwester für mich«, entgegnete Paul.
»Hör auf, großer Bruder! Das meinst du doch nicht im Ernst, was du da redest.«
»Was ist eigentlich los mit dir, dass du auf einmal anfängst, über solche Sachen mit mir zu sprechen?«, fragte Paul ärgerlich.
Sybilla steuerte mit zwei Bechern Milch in den Händen auf die Brüder zu. Ihre Brüste schaukelten sanft unter der weißen Bluse. Ihre Lippen waren üppig und sehr rot. Ihre blauen Augen strahlten Martin Grottkamp entgegen. Als sie bemerkte, dass er und Paul sie gedankenverloren anstarrten, errötete sie.
»Die Bäuerin hat gemeint, damit sollt ihr den Staub runterspülen«, sagte sie und reichte den Brüdern die Milchbecher.
Als sie eilig wieder davonlief, sah Martin Grottkamp die Spitze ihres langen, blonden Zopfes zwischen den schmalen Hüften baumeln.
»Also, warum hältst du nicht um sie an?«, fragte er seinen Bruder noch einmal. »Du fürchtest doch wohl nicht, sie könnte Nein sagen?«
»Sie würde mich schon nehmen, glaube ich. Aber nur, weil sie den nicht kriegen kann, den sie will. Deshalb frage ich sie nicht«, sagte Paul ungehalten.
»Der, den sie will? Was soll das denn heißen?«, fragte Martin erstaunt.
Der ältere Bruder sah ihn kopfschüttelnd an. »Du bist ein Narr, dass du es nicht spürst. Von Kühen verstehst du immer noch mehr als von den Weibern.«
Martin Grottkamp war verwirrt. Er leerte den Milchbecher in einem Zug und wischte mit der Hand den Schmant weg, der in seinem Schnauzbart hängen geblieben war. Was meinte sein Bruder nur? Was deutete er da an? Konnte es sein, dass die Sybilla ihn gern hatte?
Als er damals den Hof verlassen hatte, war sie noch ein Kind gewesen, gut zehn Jahre jünger als der zwanzigjährige Martin, den es fortzog zu den Soldaten. Und später hatte es für ihn nie einen Zweifel daran gegeben, dass die Tochter des alten Sebastian zum Grottkamphof gehörte – und zu seinem Bruder, dem Bauern.
»Du hast recht«, sagte Paul nach einer Weile. »So früh wie in diesem Jahr waren wir noch nie mit dem Dreschen, glaube ich.«
Martin Grottkamp war froh, dass sein Bruder das Thema wechselte.
»Bisher haben wir nur das Feld am Aisbach abgeerntet. Der Roggen oben auf dem Acker zum Försterhof hin, der steht noch. Sebastian und ich haben uns gedacht, den holen wir erst nächste Woche. Und dann sind wir froh, wenn schon was weggedroschen ist.«
»Eine seltsame Arbeitseinteilung«, befand der jüngere Bruder.
»Heute ist manches anders als früher.« Paul lachte. »Weißt du noch, wie der Vater jedes Jahr ein Drittel unseres Landes brachliegen ließ, damit es sich erholen konnte?«
Martin Grottkamp nickte. »Natürlich weiß ich das noch. So haben es damals ja alle gemacht.«
»Die Umstellung von der Dreifelderwirtschaft auf den Fruchtwechsel hat viel gebracht«, sagte Paul. »Der Sebastian und ich, wir mussten natürlich erst unsere Erfahrungen sammeln. Der Boden erholt sich ja nicht, wenn du einfach nur jedes Jahr was anderes drauf wachsen lässt. Auf die richtige Fruchtfolge kommt es an. Es hat schon ein paar Jahre gedauert. Aber jetzt haben wir’s so weit, dass jeder Morgen etwa so viel hergibt wie zu Vaters Zeiten.«
»Und dabei nutzt ihr jedes Jahr das ganze Land«, überlegte Martin. »Das heißt also, dass der Grottkamphof heute viel mehr hergibt als früher.«
»Es heißt vor allem, dass wir mehr arbeiten müssen als früher, viel mehr.« Paul drückte mit einem Holzstück die Glut in seiner langen Pfeife fest.
»Der Sebastian ist in die Jahre gekommen«, fuhr er fort. »Und wenn die Sybilla mal den Hof verlässt, dann steh ich irgendwann mit der ganzen Arbeit alleine da.«
»Ach Unsinn! Die Sybilla wird den Hof nicht
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