Tod an der Ruhr
»Das Kompliment für das Essen, das gebührt allein der Sybilla. Ich bin ihr nur ein wenig zur Hand gegangen.«
»Es ist wirklich lecker«, sagte Martin verlegen.
»Kartoffeln mit Äpfeln untereinander gekocht schmecken immer gut«, erklärte Sybilla lächelnd, »vor allem, wenn’s gebratene Blutwurst dazu gibt.«
»Der beste Koch scheint mir ohnehin der Martin zu sein«, sagte der alte Sebastian schelmisch. »Immer wenn der Herr Polizeisergeant auf den Grottkamphof kommt, gibt es jedenfalls ein gutes Stück Fleisch zum Essen.«
ELF
Martin Grottkamp hatte keine Eile. Im Schatten eines alten Eichenbestandes schlenderte er am Aisbach entlang.
Er hatte vom Grottkamphof aus nicht den kürzesten Weg zurück ins Dorf genommen, sondern war bachaufwärts gegangen. Eine aufgeschreckte Ente flatterte ärgerlich schnatternd zum anderen Ufer hinüber. In der Ferne sah er den Hüttermannshof. Er bog in den ausgetretenen Pfad ein, der aus dem Alsbachtal hinauf zu den beiden Ziegeleien führte.
Einige Männer wuchteten frisch gestochene Lehmklumpen auf eine Karre. Grottkamp stellte fest, dass die Tongruben der beiden Ziegelbrennereien erheblich tiefer und weiter geworden waren, seitdem er sie zuletzt gesehen hatte. Es wunderte ihn nicht. Mauersteine aus gebrannten Ziegeln waren in diesen Tagen nicht nur in Sterkrade gefragt, sondern überall an Ruhr und Emscher.
Er überquerte den alten Postweg und marschierte zwischen Weiden und Ackern hindurch in Richtung Reiners Hof. Ein Hütejunge, der wenig Mühe hatte, ein halbes Dutzend träger Kühe zusammenzuhalten, winkte freundlich zu ihm herüber. Grottkamp tippte grüßend an seine Mütze. Er liebte es, über die alten Feldpfade zu gehen. Hier, rund eine viertel Meile vom Zentrum des Dorfes entfernt, hatte sich nicht viel verändert in den vergangenen Jahrzehnten. Hier konnte Martin Grottkamp sich der Illusion hingeben, es gäbe noch das Sterkrade seiner Knabenzeit.
Und ausgerechnet sein Bruder wollte das nun ändern.
Nach dem Mittagessen hatte der Bauer Paul Grottkamp den Jüngeren noch einmal zur Seite genommen. Er habe ihm einen Vorschlag zu machen, hatte er ein wenig verlegen gesagt. Und dann hatte Paul erzählt, zwei hoch gestellte Beamte aus dem Komptoir der Gutehoffnungshütte seien bei ihm gewesen.
Die Herren hatten ihm ein Kaufangebot für ein Stück Land unterbreitet. Ein schmaler Streifen war es eigentlich nur, den sie in den Besitz der Hüttengewerkschaft bringen wollten, um darauf Arbeiterwohnungen zu errichten. Der Preis, den sie geboten hatten, war so fantastisch, dass Paul ausgerechnet hatte, von dem Geld könnten die Grottkamps selbst, wenn sie all ihr Erspartes dazulegten, drei Ziegelhäuser mit jeweils zwei Wohnungen neben die neuen Hüttenhäuser bauen.
Die Mutter hatte sich mit dem Verkauf des Landes grundsätzlich einverstanden erklärt, allerdings zur Bedingung gemacht, dass auch der Jüngere zustimmte. Überdies hatte sie gefordert, dass eines der drei Mietshäuser, die dann von den Grottkamps errichtet werden sollten, in Martins Besitz käme. Paul hatte betont, dass er die Auffassung der Mutter in dieser Angelegenheit voll und ganz teile, vorausgesetzt, der jüngere Bruder lege sein Erspartes zum Bau der Häuser dazu.
Grottkamp ging gemächlich am Reinersbach entlang, bog nach rechts in einen schmalen Wiesenpfad ein und kam nach einer Weile neben dem Anwesen der Molsbecks wieder auf den alten Postweg. In Gedanken versunken, die Hände hinter dem Rücken ineinandergelegt, marschierte er in Richtung Dorf.
Ein Stück fruchtbares Land zu verkaufen, um es mit Wohnhäusern bebauen zu lassen, das war seine Sache nicht. Und durch seine Entscheidung dazu beizutragen, dass sich das alte Sterkrade noch ein Stück weiter veränderte, das ging ihm ganz erheblich gegen den Strich. Er hatte sich Bedenkzeit ausgebeten, und Paul hatte sie ihm zugestanden. Der ältere Bruder war offensichtlich erleichtert darüber gewesen, dass Martin seinen Plan nicht sogleich in Bausch und Bogen verurteilt hatte.
Das Getrappel von Pferdehufen schreckte Grottkamp aus seinen Gedanken auf. Er trat an den Straßenrand. Ein eleganter Zweispänner überholte ihn. Der Kutscher würdigte ihn keines Blickes. Wer im Inneren des Wagens saß, war nicht zu erkennen. Das Gespann bog nach links in die Holtener Straße ein und verschwand in Richtung Hüttenwerk.
Vielleicht hatte Paul ja recht. Wer sich der neuen Zeit nicht anpasste, der musste am Ende zusehen, wie die anderen immer
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