Tod an der Ruhr
eine brave Familie hatte er auch, soviel ich weiß. Trotzdem war er mürrisch und unleidlich. Zuletzt konnte er sein Leben wohl nur noch im Suff ertragen. Er kam oft unausgeschlafen und mit einer Alkoholfahne zur Schicht. Ich hab’s ihm immer wieder vorgehalten, aber er hat dann nur gefragt, ob ich an seiner Arbeit was auszusetzen hätte. Nun, darauf konnte ich nichts mehr sagen, denn seine Arbeit hat er immer noch tadellos gemacht, der Terfurth. Erstaunlicherweise. Und seine Männer, die haben gerne mit ihm gearbeitet, trotz seiner Übellaunigkeit. Wer bei ihm war, der konnte mit einem hohen Benefiz rechnen. Natürlich hat er seinen Leuten viel abverlangt, aber es hat sich für sie gelohnt. Und er hat niemanden grundlos rauswerfen lassen.«
»Allein drei Männer sollen es in den letzten Monaten gewesen sein«, wandte Grottkamp ein.
»Zwei waren es«, sagte der Hüttenmeister kopfschüttelnd. »Der eine war als Transportgehilfe beim Terfurth. Aber der war der schweren Arbeit einfach nicht gewachsen. Er wird jetzt in der Werft in Ruhrort als Kranführer angelernt. Ich glaube, der war am Ende ganz froh über den Wechsel, auch wenn er auf dem Kran weniger verdient.
Und dann war da dieser Hebler, der Tiefenbach. Fast ein Jahr war der beim Terfurth in der Kolonne. Am Anfang war er wirklich gut. Ein kräftiger junger Kerl. Aber dann hat der Branntwein ihn ruiniert. Das ist ein Elend mit der Sauferei. Vor allem die jungen Männer, die allein von zu Hause weg sind, verfallen dem Schnaps. Die fühlen sich fremd hier, sehnen sich nach der Familie oder nach der Braut, und dann hängen sie abends in den Schnapsschänken herum und betäuben ihren Kummer mit Branntwein. So war’s bei dem Carl Tiefenbach auch. In letzter Zeit hat er immer öfter Terfurths Handzeichen übersehen oder falsch gedeutet. So manches Stück ist seinetwegen Schrott geworden. Irgendwann wollte Julius Terfurth ihn dann nicht mehr. Ich hab’s eingesehen und ihn in die Gussputzerei geschickt. Nur der Carl Tiefenbach, der hat es nicht eingesehen. Er hat geglaubt, sein Vorarbeiter wollte ihn zugrunde richten. Einen richtigen Hass hat er auf den Terfurth gehabt.«
»In der Gussputzerei soll er übrigens seit Montag nicht mehr erschienen sein«, erzählte Grottkamp.
»Seltsam«, murmelte der Hüttenmeister. »In der Nacht zum Montag ist doch der Terfurth ums Leben gekommen, nicht wahr?«
Grottkamp nickte. »Ich muss diesen Tiefenbach unbedingt sprechen. Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo ich ihn finden kann?«
»Er wohnt bei der Familie Huckes«, antwortete Klöser. »Aber die besten Aussichten, ihn zu treffen, haben Sie in der Schnapsschänke auf der Dorstener Straße.«
»Wo wohnt der Kerl?«, fragte Grottkamp verblüfft.
»Carl Tiefenbach ist Kostgänger beim Kranführer Dietrich Huckes und seiner Frau, in der Nähe vom Hagelkreuz«, erklärte Friedrich Klöser.
VIERZEHN
Für einen Augenblick glaubte er, wieder in der Hammerschmiede zu sein. Der Lärm, der über ihn hereinbrach, als er die Schnapsschänke an der Dorstener Straße betrat, erschien Martin Grottkamp ebenso unerträglich wie die Schläge des Dampfhammers, die am Vormittag in der Werkshalle der Gutehoffnungshütte sein Gehör malträtiert hatten.
Grölend und singend, brüllend und streitend drängten sich im engen Schankraum wohl an die hundert Männer zusammen, milde gestimmt die einen, auf Händel sinnend die anderen. Was auch immer ihnen am gerade überstandenen Arbeitstag widerfahren war, was auch immer die Natur in ihnen angelegt hatte, der klare Schnaps, der Bitter und der Kümmel spülten es an die Oberfläche.
Hilflose Traurigkeit, unterdrückte Wut und bitteres Heimweh fanden ungehindert ihren Weg in heftige Worte und hitzige Gebärden. Gescheiterte Hoffnungen wurden begossen, bis sie wieder aufzukeimen begannen.
Schulter an Schulter, Rücken an Rücken standen die Männer da, junge Kerle in ihren Arbeitskleidern, schmutzig und schwitzend. Schiebend und stoßend bahnten sich immer wieder einige von ihnen den Weg zum Schanktisch, um noch einmal ihre Gläser füllen zu lassen. Andere drängten zur Tür hinaus, um zu urinieren oder sich zu übergeben. Wer es nicht bis ins Freie schaffte, bekam keinen Ärger deswegen, wenn er nur mit einem Eimer Brunnenwasser seinen Mageninhalt zur Tür hinausspülte.
Fast alle Zecher rauchten Tabak aus kurzen Pfeifen, die Grottkamp an das Fundstück erinnerten, das neben der Wasserlache beim Hagelkreuz gelegen hatte.
Er trotzte dem
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