Tod an der Ruhr
gehalten. Dabei hätte er ihn rauswerfen müssen und nicht mich. Der Terfurth hat doch doppelt so viel gesoffen wie ich.«
»Aber er hat seine Arbeit ordentlich gemacht«, stellte Grottkamp fest.
»Das habe ich auch«, polterte Tiefenbach. »Terfurth hatte keinen Grund, mein Leben zu zerstören.«
»Sie haben ihn gehasst, nicht wahr?«
Carl Tiefenbach beantwortete die Frage nicht. Erst nach einer ganzen Weile sagte er: »Ich habe ihn nicht getötet.«
»Wo waren Sie am Sonntagabend?«, wollte Grottkamp wissen.
»Sonntag?« Der junge Mann überlegte nur kurz. »In der Schänke war ich. Von Mittag an ungefähr. Bis der Wirt zugemacht hat. Das war so gegen zehn am Abend.«
»Und dann?«
»Dann bin ich zu den Huckes. Bin Schlafgänger bei denen. So kurz vor elf war ich vermutlich im Bett. Genau weiß ich das nicht mehr.«
»Sind Sie sicher, dass Sie von der Schnapsschänke aus geradewegs nach Hause gegangen sind? Zu den Huckes meine ich?«
Der junge Mann nickte energisch. »Ich war besoffen und müde. Hatte wirklich keine Lust mehr, noch irgendwas zu unternehmen.«
Grottkamp glaubte ihm nicht. Er erinnerte sich daran, dass er selbst noch gern spazieren gegangen war, wenn er während seiner Militärzeit mit den Kameraden gezecht hatte. War er direkt nach einem Besäufnis auf die Pritsche gesunken, dann hatte sich um ihn herum alles gedreht und ihm war übel geworden. Vielleicht ging es Carl Tiefenbach ja nicht anders. Vielleicht hatte er sich – so betrunken wie er war – am Sonntagabend nicht gleich ins Bett legen wollen und noch eine Runde durch das Dorf gedreht.
Julius Terfurth hatte gegen viertel vor elf das Gasthaus »Zum dicken Klumpen« verlassen. Vierzig bis fünfundvierzig Minuten später war er hinter dem Hagelkreuz, nahe beim Haus der Familie Huckes, getötet worden. Vielleicht war Tiefenbach ja ein Weilchen nach zehn aus der Schnapsschänke getorkelt und eine gute halbe Stunde durch die Straßen gelaufen. Es wäre durchaus möglich, dass er dabei zufällig auf Terfurth getroffen war. Vermutlich waren die beiden betrunkenen Männer dann gemeinsam in Richtung Hagelkreuz gegangen und auf dem Weg heftig in Streit geraten. Das würde erklären, warum Terfurth vom Gasthaus bis zu der Wasserlache hinterm Hagelkreuz fast eine dreiviertel Stunde gebraucht hatte.
Wahrscheinlich hatte Terfurth dem abgeschobenen Hebler klar gemacht, dass es für ihn kein Zurück in die Hammerschmiede gab.
Daraufhin könnte der betrunkene junge Arbeiter außer sich geraten sein und den verhassten Vorarbeiter erschlagen haben.
Carl Tiefenbach zupfte mit den Fingern ein Knäuel Tabak aus der Tasche seines schmuddeligen Rocks und stopfte es in seine Pfeife.
»Die sieht neu aus«, bemerkte Grottkamp.
»Unsinn, die hab ich schon seit Monaten«, sagte Tiefenbach, drückte den Tabak mit dem Daumen in die Pfeife und gab sie dem Polizeidiener.
Grottkamp betrachtete sie eingehend und stellte fest, dass sich im Inneren des Pfeifenkopfes eine dicke schwarze Kruste gebildet hatte und dass das Mundstück Bissspuren aufwies. So sah wirklich keine Tabakspfeife aus, die erst seit ein paar Tagen benutzt wurde.
»Warum sind Sie seit Montag nicht mehr bei der Arbeit gewesen?«, fragte Grottkamp, während er Tiefenbach die Pfeife zurückgab.
»Ich hatte Lust, mich zu besaufen, nachdem ich von Terfurths Tod erfahren hatte. Nächste Woche gehe ich nach Gelsenkirchen rüber. Da arbeitet ein Vetter von mir auf Hibernia. Für die Zeche werden immer Leute gesucht. In die Gussputzerei kriegen mich keine zehn Pferde mehr.«
Tiefenbach ließ ein paar Tabakswölkchen aufsteigen. Martin Grottkamp sah nachdenklich zu den Werkshallen der Hütte hinüber, die allmählich in der zunehmenden Dunkelheit versanken.
»Kommen Sie, wir gehen zurück zur Schnapsschänke«, sagte er nach einer Weile.
»Warum das denn?«
»Ich will mich erkundigen, ob Sie am Sonntagabend wirklich da waren, und wann Sie gegangen sind.«
»Ich verstehe«, murmelte Tiefenbach.
»Und beim Kranführer Huckes und seiner Frau werde ich auch noch Erkundigungen einziehen. Die werden ja wohl bestätigen können, dass Sie Sonntag schon vor elf Uhr zu Hause waren.«
»Das glaube ich nicht«, meinte Carl Tiefenbach. »Um diese Zeit schlafen die beiden meistens schon.«
Noch bevor Dechant Witte die Leseecke im Kasino der Gesellschaft Erholung erreicht hatte, hatte Pfarrer Kreutzberg ihn erwischt.
»Warten Sie, lieber Witte, warten Sie! Den muss ich Ihnen erzählen. Oder haben Sie
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