Tod an der Ruhr
Wittes Segen Arm in Arm davongingen und aufgeregt miteinander redeten, war Grottkamp sich sicher, dass es so sein musste.
Der Gedanke an Sybilla hatte Martin Grottkamp während der vergangenen Tage ein ums andere Mal wohlig erschauern lassen. Doch jetzt, da sie in seinem Rücken am Kochherd hantierte, fühlte er sich angespannt und verunsichert. Er versuchte sich einzureden, dass es dafür keinen Grund gäbe. Die Sybilla hatte ihn ja auch vor einer Woche und vor einem Jahr schon gemocht, wenn er den Bruder recht verstanden hatte.
Dass er von Sybillas Zuneigung wusste, was änderte das schon? Nun ja, Paul ahnte wahrscheinlich, was in ihm vorging, aber der schien ihn nicht mit größerer Aufmerksamkeit zu betrachten als sonst. Nein, heute war nichts anders als an all den früheren Sonntagen auf dem Grottkamphof!
Und doch hatte Martin Grottkamp, als er durch die große Kammer ins Haus getreten war, seine Kappe neben den Haken gehängt, so dass sie, von Sybillas arglosem Lachen begleitet, auf den Boden gefallen war. Und doch spürte er jetzt, da er am Tisch in der Lucht saß und Sybilla hinter sich hörte, wie seine Rückenmuskeln sich zusammenkrampften und seine Nackenhaare sich aufrichteten.
Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, sein Wissen um Sybillas Zuneigung verwirrte ihn über die Maßen.
Ihm kam in den Sinn, dass Paul sich geirrt haben könnte, dass der Bauer vom Grottkamphof vielleicht nur befürchtete, seine Magd sei dem jüngeren Bruder zugetan.
Wie konnte ein Mann nur herausfinden, ob eine Frau ihn wirklich gern hatte? Er konnte doch nicht gleich beim alten Sebastian um die Hand seiner Tochter anhalten. Wenn er nur ein wenig mehr Erfahrung in diesen Dingen hätte! Nein, der Sybilla zu nahe treten, wenn sie am Ende gar nicht die Seine werden mochte, das wollte er auf keinen Fall.
Aber warum sollte Paul sich irren? Er lebte und arbeitete seit Jahren mit Sybilla zusammen, und er war ein ernsthafter Mann, der nicht leichtfertig etwas dahersagte. Woher auch immer Paul von ihren Gefühlen wusste, er war sich seiner Sache ganz sicher. Wenn es nicht so wäre, hätte der ältere Bruder ihm niemals Sybillas Zuneigung offenbart. Nein, er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Sybilla ihn wirklich mochte.
Als sie ihm endlich in der Lucht schräg gegenüber saß, auf der Bank an der Seite ihres Vaters, fürchtete Martin Grottkamp, dass inzwischen alle gemerkt hatten, was mit ihm los war, seine Mutter und sein Bruder, der alte Sebastian und natürlich auch Sybilla.
Und dann legte sie auch noch eine Hand auf seinen Arm und sagte: »Du wirst doch hoffentlich nicht krank, Martin. Du bist heute so still, als ginge es dir nicht gut.«
»Unsinn«, knurrte er, »ich habe nichts.«
»Der Martin wartet wahrscheinlich darauf, dass wir endlich mit dem Rosenkranz anfangen«, sagte Hedwig Grottkamp fröhlich.
»Oh nein«, stöhnte der alte Sebastian, »dann wird ja das gute Essen kalt.«
»Die gestern in den Kartoffeln waren, die sollen den Rosenkranz beten. Wir haben den Stall ausgemistet. Für uns reicht ein einfaches Tischgebet«, entschied der Bauer, und niemand widersprach ihm.
»Also hat der Herr Pfarrer in der Frühmesse auch schon mit euch geschimpft?«, fragte Martin, als sie gemeinsam das Vaterunser gebetet hatten.
»Mit uns nicht. Wir waren im Stall«, sagte Paul.
»Und so richtig böse war er ja auch mit den Leuten nicht, die ihre Kartoffeln ausgemacht haben. Dass die geerntet werden mussten bei dem guten Wetter gestern, das hat er schon eingesehen, der Herr Pfarrer Witte«, meinte Sybilla.
Während des Essens fiel die Anspannung allmählich von Martin Grottkamp ab. Es gab roten Kohl, Kartoffeln und geräucherte Bratwurst, und als er seinen Teller geleert hatte, fühlte er sich recht behaglich. Es gelang ihm mühelos, seiner Mutter und Sybilla zuzulächeln. Und dann fand er sogar ein paar launige Worte, um die Kochkunst der beiden Frauen zu rühmen.
Der alte Sebastian zog sich nach dem Essen in seine Kammer zurück. Die Altbäuerin und die Magd machten sich in der Küche zu schaffen. Das trübe Wetter hielt die beiden Brüder davon ab, sich vor das Haus auf die Bank zu setzten. Sie blieben auf ihren Plätzen in der Lucht hocken.
»Früher hat der Vater immer gesagt: Ist’s an Regina warm und sonnig, bleibt das Wetter lang noch wonnig«, erinnerte Paul sich.
»Früher war das auch so«, sagte Martin.
Als sie einen Schnaps getrunken hatten, einen guten Korn, der auf dem benachbarten
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