Tod Auf Dem Jakobsweg
Messe. Es ist ein besonderes Erlebnis, wenn man inmitten der Gemeinschaft der in großer Zahl versammelten Pilger sitzt, gemeinsam singt und den Segen empfängt. Nicht zu vergessen», er lächelte breit, «zu erleben, wie der riesige Weihrauchkessel, die botafumeiro, durch das Querschiff über die Köpfe der Gläubigen geschwenkt wird. Das gibt es wirklich nur in Santiago de Compostela. Es heißt, die Querung habe extra dafür ihre ungewöhnliche Länge bekommen, nämlich fünfundsechzig Meter.»
Auch mit einer besonderen Nachricht hatte Jakob gewartet, bis alle um den Tisch versammelt waren.
«Ich habe wieder mit Dr. Helada in Burgos telefoniert. Benedikt lässt euch alle grüßen, er ist noch sehr schwach, aber es geht ihm jeden Tag ein bisschen besser. An seinen Unfall erinnert er sich allerdings immer noch nicht. Der Arzt denkt, das werde so bleiben. Sicher möchte Benedikt wissen, wie ihm so etwas passieren konnte, andererseits wäre es eine Bürde, die Erinnerung an einen solchen Albtraum ein Leben lang mit sich herumzutragen. In ein paar Tagen wird er mit einem Krankentransport nach Hamburg geflogen. Ich nehme an», wandte er sich an Nina, «du wirst von Santiago nach Burgos zurückkehren und mit ihm und Frau Siemsen zurückfliegen?»
«Ja, das habe ich vor. Aber ich bleibe wie ihr noch einen Tag in Santiago.»
Helene schob missbilligend die Unterlippe vor, Selmas Augenbrauen hoben sich, nur Enno nickte zustimmend.
«Darüber freuen wir uns», sagte Jakob rasch , und betonte: «Wir wissen alle, dass das im Sinne Benedikts und seiner Mutter ist.»
Dass Nina jeden Tag zweimal mit Ruth Siemsen telefonierte und auch schon mit Benedikt gesprochen hatte, wusste nur Leo.
«Señora Peheim?» Ein Hotelpage stand in der Tür und sah sich suchend um. Das Essen war beendet, doch alle saßen noch im Speisesaal, leerten den letzten Rest des Weines oder beugten sich über den Plan für die morgige Wanderstrecke. «Ha llegado», rief er strahlend, als sei es einzig sein Verdienst, «acabo de recibir su fax.»
« Das ist aber ein langer Liebesbrief», feixte Felix, als Leo ihre Post entgegennahm und dem dienernden Jungen eine Münze in die Hand drückte.
«Leider nicht. Es ist von einer Freundin mit missionarischen Ambitionen», log sie mit vermeintlichem Unwillen. «Sie war schon mal hier und findet, ein paar zusätzliche Informationen zu Santiago können nie schaden.»
Sie hatte Johannes Unrecht getan, das Fax kam direkt aus der Redaktion. stand in seiner schwungvollen Schrift am oberen Rand des ersten Bogens. Bevor das neugierige Augen sehen konnten, stopfte sie den kleinen Stapel Papier, es mochten sechs oder acht Blatt sein, in ihre Tasche. Sie sah keine misstrauischen Blicke, warum auch? Nicht einmal Nina wusste, dass sie Johannes gebeten hatte, er möge für sie im Archiv stöbern. Inzwischen war so viel geschehen, hatte sie so viel Neues erfahren, dass das zunächst so ungeduldig erwartete Fax nachrangig geworden war.
Seit sie Ninas Geschichte kannte, rechnete sie nicht mehr mit echten Überraschungen. Trotzdem war sie neugierig, wie immer. In ihrem Zimmer schloss sie die Tür ab, bevor sie das Fax aus der Tasche zog und zu lesen begann. Auf einem Extrabogen schrieb Johannes, er sende nur Artikel die er für relevant halte. Geschichten über brave Sparkassenleiter, Autoverkäufer und Rudermeisterinnen zähle er nicht dazu. Falls er sich irre, möge sie ihn anrufen.
Ein Artikel berichtete von einer Protestaktion gegen die Castor-Transporte im Wendland. Nach einer waren einige der Aktivisten vorübergehend festgenommen worden. So matt die gefaxte Kopie war, Felix war auf dem Bild zu erkennen. Er hatte Leos Sympathie.
Die nächsten Blätter, ein Artikel aus einem Wirtschaftsjournal, waren erst wenige Wochen alt, befassten sich mit der Firma Instein & Pfleger, insbesondere mit der Frage, ob und welche Veränderungen in der Firmenpolitik nach dem überraschenden Tod des Gründers Walter Instein zu erwarten seien.
Leo überflog die Seiten, sie bestätigten, was sie von Nina erfahren hatte. Sie und ihr verschollener Bruder wurden nirgends erwähnt, in der Welt von Industrie und Wirtschaft ging man offenbar ganz selbstverständlich davon aus, nun werde einzig Rudolf Pfleger die Linie bestimmen. Die große Welt der Wirtschaftskapitäne würde sich noch wundern.
Was Leo auf den letzten Bögen las, bewegte nicht die große Welt, doch ihr nahm es den
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