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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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heiratete. Voller Hoffnung und guter Vorsätze versicherte sie, nun habe das Leben einen Sinn, alles werde anders. Die Verantwortung für ein Kind sei das Wichtigste, ihr Mann habe Arbeit gefunden und aufgehört zu trinken.
    Das war die nächste Seifenblase. Alles wurde nicht besser, sondern schlimmer. Immerhin bemühte V. sich, ihren Sohn gut zu versorgen. Hedda hätte sich gerne seiner mehr angenommen, doch das wollte ihre Schwester nicht. Es war ihr Kind, sie wollte es nicht teilen, am wenigsten mit dieser perfekten Schwester. Vielleicht war auch nur der Vater des Kindes dagegen, er lehnte Hedda strikt ab, und V. tat immer, was er verlangte.
    Dann wurde Hedda für einige Jahre von ihrer Firma nach Montreal geschickt, für sie war es ein Abenteuer, die Erfüllung eines Traums, der Kontakt zu ihrer Schwester brach bis auf seltene Telefonate ab.
    Als Hedda nach Hamburg zurückkam, war V. wieder schwanger, sie sah furchtbar aus, verhärmt, erheblich älter, als sie war, ihre Finger waren gelb von Nikotin. Sie erlaubte ihrer Schwester nicht, sie zu besuchen. Hedda ahnte warum, die enge Wohnung war früher schon ein großes Chaos gewesen, es würde nun kaum anders sein. V.s Mann würde in dem alten Sessel sitzen, in das Fernsehgerät starren, die Ginflasche griffbereit. Sie war froh, das nicht sehen zu müssen. Wieder versicherte ihre Schwester, mit dem zweiten Kind werde alles besser, ganz bestimmt, ihr Mann suche schon Arbeit, er habe etwas in Aussicht.
    Als das Kind geboren war, ein Mädchen, wurde das Drama zur Tragödie. Es war ein zartes Geschöpf und schrie häufig. Nein, nicht häufig, es schrie andauernd. Seine Eltern schrieen auch. Sie schrieen ihre Kinder an, endlich Ruhe zu geben, sie schrieen einander an. Später stellte sich heraus, dass sie nicht nur geschrieen hatten. Aber wenn man oft genug den Arzt wechselte, fiel nicht auf, wie häufig das ältere Kind, der nun fünfjährige Sohn, vom Klettergerüst fiel, wie erstaunlich ungeschickt seine Mutter war, dass sie so oft stolperte und sich verletzte.
    Nur den Nachbarn fiel auf, dass der Lärm in dieser Wohnung auf die Dauer unzumutbar war, und einer, ein Jurastudent im Examen, begann sich Sorgen um die Kinder zu machen. Eines Abends, als sich wieder das Schreien des Säuglings mit dem Gebrüll und Poltern der Eltern vermischte und durch die Wände drang, als seien sie aus Pappe, rief er die Polizei.
    In den letzten Wochen, so hatte er später ausgesagt, habe er zweimal selbst an der Tür geklingelt. Beim ersten Mal wurde nicht geöffnet, doch der Lärm brach ab. Nur der Säugling schrie weiter. Beim zweiten Mal, es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, wurde gleich die Tür aufgerissen, V.s Mann stand in der Tür, hinter ihm wurde es still, sogar von dem Kind war nur noch unterdrücktes Weinen zu hören. Er hatte seinen jungen Nachbarn angebrüllt, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern, das hier gehe niemanden was an. Er hatte so bedrohlich ausgesehen, dass der Nachbar sich ohne ein weiteres Wort umgedreht hatte und in seine Wohnung zurückgekehrt war.
    Und dann, beim nächsten Mal, hatte er die Polizei um Hilfe gebeten. Der Streifenwagen kam Schnell, und er begleitete die Polizisten zu der Tür, hinter der immer noch wütend gestritten wurde Als auf ihr Klingeln niemand reagierte, hämmerte einer der Beamten gegen die Tür. Plötzlich erstarb das Schreien des Kindes, gleich darauf wurde die Tür aufgerissen, und ein Mann mit geröteten Augen und strähnigem Haar starrte sie wütend an, er verströmte den Geruch von schalem Bier und ungewaschenen Kleidern. V., Heddas Schwester, stand in der Mitte des engen Zimmers, sie hielt ihre Tochter mit ausgestreckten Armen vor sich, das Kind wimmerte leise, sein Köpfchen hing seltsam zur Seite. Das ältere Kind entdeckten sie erst später, als der Notarzt kam. Der Junge hatte sich unter dem Tisch verkrochen, er redete tagelang kein Wort.
    Das kleine Mädchen starb noch in der gleichen Nacht. Sie hatte den so zornigen wie hilflosen Versuch ihrer Mutter, sie durch heftiges Schütteln still werden zu lassen, nicht überlebt.
    Leo ließ die Blätter auf das Bett fallen und ging zum Fenster, sie öffnete es weit und atmete tief die frische Nachtluft. Der Himmel glich einer unendlichen, mit Diamantsplittern bestreuten Samtdecke, doch mit diesen Bildern im Kopf sah er nur kalt und bedrohlich aus. Sie hatte eine solche Geschichte nicht zum ersten Mal gehört oder gelesen, wenn man jedoch jemanden kannte, der direkt

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