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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sie geweckt hatte. Ein jammernder Schrei. Und während sie noch überlegt hatte, aufzustehen und nachzusehen, ob jemand Hilfe brauchte, war sie zurück in den Schlaf geglitten. Womöglich war der Schrei nur Teil eines Traumes gewesen.
    Die ersten beiden Stunden des neuen Tages gehörten der kleinen Stadt, einem kurzen Rundgang durch alte Straßen, über den weiten Rathausplatz und vorbei an dem zum luxuriösen Hotel umgebauten einstigen Pilgerhospiz zum eigentlichen Ziel, der Kathedrale.
    Vor einem knappen Jahrtausend, zu Zeiten Domingos, nach dem das Städtchen benannt ist, war die Beschaffenheit des camino das größte Problem der Pilger, es gab nur wenige erkennbare Wege, ein Pilger war zugleich ein Pfad-Finder. Viele verlängerten so ihre Reise unfreiwillig, mancher ging in der Wildnis verloren. Die größten Hindernisse bildeten die Flüsse, natürliche Barrieren und echte Härtetests. Brücken gab es nicht, auch wer eine Furt gefunden hatte, stand häufig vor unpassierbar reißenden Wassermassen.
    So begann Domingo, gerade fünfundzwanzig Jahre alt, Wege durch diese Wildnis anzulegen. Er ließ Straßen pflastern, die ihm seinen Ehrennamen de la Calzada, , einbrachten. Er baute eine Brücke mit vierundzwanzig Bögen über den Oja und ein Hospiz, um das bald ein Dorf wuchs, das später nach ihm benannt wurde, Santo Domingo de la Calzada. Auch in der irdischen Welt hatte er gute Verbindungen und verstand es, großzügige Spenden zu sammeln und Helfer anzuwerben, die sein Adlatus und Nachfolger Juan de Ortega zu seiner Mönchsgemeinschaft machte. Auch Ortega wurde tief verehrt, immerhin hatte er eine Wallfahrt nach Jerusalem überlebt. Die Betreuung der Pilger wurde zu Aufgabe und Inhalt Domingos neunzig Jahre währenden Lebens. Beeindruckt von so engagierter christlicher Initiative, schenkte ihm der König ein Grundstück, um darauf eine Kirche zu errichten. Aus dem ersten, im Sinne Domingos noch bescheidenen romanischen Gotteshaus war im Laufe weniger Jahrhunderte eine prunkvolle Kathedrale geworden, die vor allem durch ein Wunder, Kleingläubige mochten es eine Kuriosität nennen, populär wurde.
    «Wo sind denn nun die Hühner?», fragte Helene, als die Gruppe im Hauptschiff stand.
    Jakob grinste. Die dreischiffige gotische Kathedrale bot Besuchern unter dem hohen, im Altarraum als Sternenhimmel gestalteten Kreuzrippengewölbe eine Fülle an bedeutender sakraler Kunst. Allein das himmelhohe, goldglänzende Renaissance-Retabel des Hauptaltars mit all den geschnitzten Szenen aus dem Leben Marias und Christi, die Gemälde, das reichgeschnitzte Chorgestühl, die Heiligenfiguren und Grabmäler, allen voran das prunkvolle des heiligen Domingo — zuerst hörte er immer die Frage nach den Hühnern. Es gab eben keine zweite Kirche, die unter ihrem geweihten Dach lebendes Federvieh beherbergte, jedenfalls hatte Jakob von keiner gehört.
    Er wies wortlos zum südlichen Querschiff, und obwohl die Mitglieder der Gruppe für gewöhnlich nach ihren Vorlieben auseinanderstrebten, eilten sie ihm diesmal geschlossen nach.
    «Da sind sie», sagte er. «Es steht zu befürchten, dass die Hühner und ihre Legende diesen Ort bekannter und beliebter gemacht haben als sein Namensgeber.» In einer Wandnische unter einem vergoldeten Renaissancebogen hockte, von einem kunstvollen Gitter gesichert, die Prominenz der Stadt im Stroh, ein Hahn und eine Henne.
    «Das ist doch Tierquälerei», empörte sich Eva. «Die armen Tiere haben überhaupt keinen Auslauf.»
    «Wer berühmt sein will, muss leiden», murmelte Felix, aber Jakob versicherte, immer noch grinsend, die Hühner litten nicht an Klaustrophobie und würden regelmäßig ausgetauscht.
    «Klar», murmelte Felix weiter, «traurige Hühner sind schlecht fürs Touristengeschäft.»
    Selmas Angebot, die Legende um die Hühner und das mit ihnen verbundene Wunder zu erzählen, eines der populärsten am camino , wurde verhalten aufgenommen. Alle hatten davon gelesen. Sogar Sven, der nicht einmal die Madonna unter den Heiligenstatuen erkannte. Selma ließ sich trotzdem nicht aufhalten.
    Ein junger deutscher Pilger, berichtete sie, war in Santo Domingo de la Calzada fälschlich des Diebstahls bezichtigt und ruck, zuck gehenkt worden. Bevor die verzweifelten Eltern ihre Pilgerreise fortsetzten, erkannten sie, dass ihr Sohn am Galgen wunderbarerweise noch lebte. Santo Domingo persönlich, nach einer anderen Variante sogar der Apostel Jakobus, hatte die Beine des frommen

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