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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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behängten, prallgefüllten Rucksack keuchenden und schwitzenden Wanderer. Als sich der Weg dem Ziel entgegenneigte, sausten drei Mountainbike-Fahrer in glänzender Radlerkluft vorbei, die Daumen an den Klingeln, und hüllten sie in eine Staubwolke. Wenn man die immer wieder über den Feldern tanzenden und unermüdlich singenden Lerchen, einen hoch oben kreisenden Raubvogel, zwei streunende Hunde und ein paar ihrer umzäunten Weide entkommene Schafe nicht mitzählte, war ihnen sonst niemand begegnet.
    Nach gut zwei Stunden war die letzte Höhe erreicht und in einer Senke die gotische Kathedrale del Salvador mit dem um einige Jahrhunderte jüngeren, frei stehend fast siebzig Meter aufragenden Turm zu sehen. Ihre Größe entsprach so gar nicht dem kleinen Ort. Nach einer weiteren Stunde zwischen Feldern, Weinbergen und Wiesen, stetig sanft bergab, war das Tagesziel erreicht.
    Diese Bilder begleiteten Leo in den Schlaf. Zu schnell. Da war noch etwas gewesen, über das sie hatte nachdenken wollen. Eine Unstimmigkeit in einem Satz, einer Geschichte, die sie an diesem Tag gehört hatte. Aber dann hatten die Mountainbiker die Gruppe vom Weg gescheucht, die zarte Eva hatte fluchend hinter ihnen hergeschrieen und den schon in ihrer Staubwolke verschwundenen Pilger-Rowdys einen Stein nachgeworfen. Sven hatte gelacht, und die offene Frage war vergessen gewesen.
    Eine Unstimmigkeit also, ein Widerspruch. Von wem? Von Felix und Ignacio? Nein. Rita und Fritz?
    Das stundenlange Wandern zeigte eine seltsame Wirkung. Leo hatte gedacht, es mache den Kopf frei, gebe Raum, alles zu bedenken, vielleicht sogar zu entscheiden, was an kleinen und groß Dingen zu bedenken und zu entscheiden war. es mit ihrem Leben weitergehen sollte, zum Bei. spiel. Ob es nicht an der Zeit war, über einen Plan nachzudenken, über Ziele, die erreicht, Träume die verwirklicht werden sollten. Aber ihre Gedanken blieben wie die Wolken, vage, ohne Substanz, ungreifbar in ihrer Flüchtigkeit. Sie kamen und gingen, folgten dem Blick durch die Weite der Landschaften, kreisten um vergessene Namen von Blumen und Kräutern am Wegesrand, darum, ob sich an der empfindlichen Stelle der rechten Ferse womöglich eine Blase entwickelte, ob die Madonna in der letzten Dorfkirche nicht tatsächlich eine heilige Katharina oder wie weit es bis zum nächsten Brunnen war. Wahrhaft Weltbewegendes.
    «Macht nichts», hatte Edith lächelnd versichert, als sie ein Stück des Weges gemeinsam gingen. «Das ist eben so. Die reine Erholung für deinen unruhigen Geist. Trotzdem klärt sich manches, das wirst du erkennen, wenn du wieder zu Hause bist. Mir ist es bei jeder langen Wanderung so ergangen. Der Kopf macht nur scheinbar Urlaub, er ist ein unermüdlicher Geselle, aber er ist so freundlich, uns hin und wieder zu schonen und seine Arbeit heimlich zu verrichten. Wir müssen ihm nur die Chance dazu geben.»
    Überraschenderweise empfand Leo diese ungewohnte Leere im Kopf, sie nannte es lieber , als angenehm. Wie eine Meditation ohne das für ungeduldige Menschen so lästige Stillsitzen. Andererseits bewegte sich ihr Denken von jeher nur selten auf gerader Linie, sondern folgte ständig Abzweigungen, Ablenkungen und Widersprüchen. Das Leben — ein Labyrinth. Es hatte sie nie ernstlich gestört oder beeinträchtigt, sie kannte sich in ihrem Irrgarten inzwischen ganz gut aus und fühlte sich darin zufrieden. Doch nun, wenige Jahre von ihrem vierzigsten Geburtstag entfernt, war es an der Zeit, ein Resümee zu ziehen und neue Weichen zu stellen. So war sie auf dieser Reise doch eine Pilgerin.
    Kurz vor dem Einschlafen machte sie einen letzten Versuch, dem verlorenen Gedanken auf die Spur zu kommen, doch schon lenkte sie wieder ein anderer ab. Wenn das Fenster ihres Zimmers einen direkten Weg auf die Dachterrasse, damit zu einigen anderen Zimmern, zum Korridor und letztlich hinaus in die Stadt und die Dunkelheit bot, war es auch ein Leichtes, unbemerkt den umgekehrten Weg zu nehmen. Leo war schon zu schläfrig, um noch einmal aufzustehen und das Fenster zu schließen, und wer sollte denn... Da wurde sie schon fortgetragen in das geheimnisvolle Land des Schlafs.
    Nur einmal war sie erwacht. Die Dunkelheit war so absolut gewesen, dass sie gezweifelt hatte, überhaupt wach zu sein. Doch sie hatte einen kühlen Luftzug vom Fenster gespürt und dünnen Glockenschlag gehört. Während Leo versucht hatte, die Schläge zu zählen, hatte sie begriffen, dass ein Schrei

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