Tod Auf Dem Jakobsweg
Jakob begleitete ihn in die Halle. Dort überreichte der Inspektor ihm seine Visitenkarte und bat um Jakobs Karte und eine Kopie der Reiseroute mit den Namen der Hotels, in denen sie bis Santiago wohnen würden — es klang allerdings nicht nach einer Bitte—, man wisse doch nie, womöglich ergäbe sich noch die eine oder andere Frage.
Als Leo am Ende dieses langen Abends eines noch längeren Tages todmüde in ihr Bett gefallen war, hatte sie überlegt, was dieser Besuch dem spanischen Polizisten gebracht haben mochte. Viel konnte es nicht sein. Trotzdem war er gegangen, ohne anzukündigen, er komme morgen wieder und wolle diesen oder jenen noch einmal allein sprechen. Das hätte sie beruhigen sollen. Wenn er so locker mit möglicherweise einer kriminellen Tat Verdächtigen umging, konnte er keinen ernsten Verdacht haben, und der Fall war für ihn abgeschlossen. Ein anderer Gedanke hinderte sie am schnellen Einschlafen: Sie hätte zu gerne gewusst, von welcher Vermutung Ruth Siemsen dem Inspektor berichtet hatte.
Sollte sein Auftauchen bei den anderen Mitgliedern der Gruppe Herzklopfen hinterlassen haben, dann weniger wegen seines Berufs und seiner Fragen als seines spanischen Charmes. Allerdings zeigten sich abgesehen von Ennos Gigolo-Vergleich nur die weiblichen Mitglieder der Gruppe von Inspektor Obanos beeindruckt. Helene fehlte noch, wahrscheinlich hantierte sie in ihrem Zimmer mit dem Föhn, das konnte dauern. Sven hatte sie mit wichtigen Telefonaten entschuldigt, aber das glaubte niemand.
Er hatte inzwischen am Kiosk auf der Plaza del Rey San Fernando eine deutsche Zeitung aufgetrieben und Fritz den Wirtschaftsteil überlassen, beide widmeten sich lesend ihrem Frühstück. Felix erläuterte Hedda mit Hilfe einer Hochglanzbroschüre der Touristeninformation die Sehenswürdigkeiten von Burgos, die sie an diesem Vormittag besichtigen wollten. Das mochte die gegenseitige Sympathie vertiefen, war aber sicher auch sonst hilfreich. Alle hatten vor dem Beginn der Reise zumindest einen Reiseführer gründlich studiert. Sogar Sven, der nur begrenztes Interesse an Kunst und Geschichte des camino zeigte, punktete ab und zu mit Kenntnissen, besonders wenn sich Vergleiche mit dem Kölner Dom anboten. Hedda schien die Tour in dieser Hinsicht unvorbereitet angetreten zu haben, dafür waren ihre Muskeln für die Wanderungen gut trainiert. Sie bewältigte Steigungen ohne Atemnot, und war Selma mal ihr Rucksäckchen zu schwer, hängte sie es wortlos über ihr eigenes Gepäck und trug es mit bergauf. Dass sie nun zumindest mit halbem Ohr den Gesprächen der Frauen zuhörte, nahm Felix in seinem Eifer nicht wahr. Vielleicht hatte Enno recht gehabt: Da bahnte sich was an.
«Und? Leo? Wie findest du unseren Kriminalen?», fragte Jakob, als für einen Moment Stille eintrat.
«Schlau», sagte sie und betrachtete stirnrunzelnd ihr steinhartes Frühstücksei, «und undurchschaubar. Er hat hier mit uns gesessen, ab und zu eine Frage gestellt und sich im Übrigen verhalten wie ein Gast. Und sonst? Charmant. Die grauen Schläfen stehen ihm auch gut.»
«Reizend, nicht wahr?», schwärmte Edith. «Er hat sogar Wein getrunken. Im Dienst. Ach, diese Spanier. Die sind nicht so verbissen, die wissen zu leben.»
«Und Leute auszuhorchen, ohne dass sie es merken», versetzte Enno. Sein männliches Ego hatte offensichtlich einen schweren Schlag erhalten.
«Ach was.» Selma machte eine wegwerfende Handbewegung. «Sei nicht miesepetrig, Enno. Señor Obanos hat sehr schnell gemerkt, dass er bei uns an der falschen Adresse war. Natürlich ist es absurd, uns zu verdächtigen. Was sollten wir gegen Benedikt haben? Außerdem waren wir gar nicht in seiner Nähe, als es passierte. Höchstens Leo, aber die kennt ihn auch erst seit Sonntag, und einen Streit zwischen den beiden hätten wir bemerkt. Warum hätte sie überhaupt in diese grässliche Schlucht absteigen sollen, wenn sie ihn vorher hinuntergestoßen hat? Nein, Leo ist genauso unverdächtig wie wir anderen. Das war alles nur Routine, wie er gesagt hat. Natürlich sagen sie das immer, aber dieser Polizist ist hochintelligent. Er weiß jetzt, an wen er sich halten muss.»
«Das solltest du nicht sagen, Selma.» Edith schob unwirsch ihren Teller zurück und fegte die Brotkrümel vom Tisch. «Darüber haben wir doch vorhin gesprochen. Leichtfertige Verdächtigungen reichen nah an üble Nachrede.»
Schlagartig war es still, alle blickten Edith und Selma an. Sven und Fritz ließen ihre Zeitung
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