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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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doch es war zu spät.
    «Wir müssen zuvor in der Dunkelheit ganz nah an ihm vorbeigelaufen sein. Die Vorstellung, er hat den Sturz überlebt und ist dort unten zwischen den Felsen allein gestorben, weil wir nicht schnell genug waren, ist unerträglich», flüsterte Mira mit erstickter Stimme. «Unerträglich. Damit müssen wir nun leben, auch wenn der Arzt sagt, dass man davon nicht ausgehen könne. Die Felsen...» Sie schnauzte sich die Nase, fuhr mit dem Taschentuch über die Augen und strich energisch ihr Haar zurück. «Ich wäre euch dankbar, wenn ihr den anderen nichts davon sagt, zumindest nicht heute Abend. Ihr sollt hier eine frohe Zeit haben, es ist ein Schicksalsschlag für uns, aber unsere Gäste müssen sich hier sicher fühlen.» Sie versuchte ein entschuldigendes Lächeln. «Wir leben von euch. Wenn ihr wegbleibt...»
    «Wer ist Camilla?», unterbrach Nina.
    «Seine Frau.» Mira nahm noch ein Bild von der Wand und reichte es ihr. Es zeigte ein lachendes Paar mit einem Baby, die Haare des Mannes vom Wind zerzaust. Das Gesicht der Frau unter dem dunklen, in der Mitte gescheitelten und über die Schultern herabfallenden glatten Haar strahlte bei aller Fröhlichkeit der Szene etwas Ernsthaftes aus. «Zwar gibt es kein amtlich gestempeltes Papier, das fanden sie unwichtig, aber wir hatten eine wunderbare Zeremonie, bei der beide ihr Treuegelöbnis abgelegt haben. Der Knirps auf Camillas Arm ist sein Sohn. Inzwischen sieht er ihm ähnlich wie eine Miniaturausgabe seines Vaters. Nur die dunklen Augen hat er von seiner Mutter.»
    «Leben die beiden nicht hier?», fragte Leo.
    «Nicht mehr. Camilla ist im März weggezogen. Es sollte nur für einige Zeit sein; bevor sie hierherkam, hatte sie immer in der Stadt gelebt, ich denke, sie brauchte einfach mal wieder eine Zeit mit Lärm und Gestank. So nenne ich das Stadtleben. Sie wollte wiederkommen, sie hat Dietrich geliebt, und er konnte nicht mehr in der Stadt leben. Als Dietrich starb, war sie für einige Tage zu Besuch gekommen, und nun», sie seufzte tief, «nun fürchte ich, sie wird nicht mehr zurückkommen. Das ist noch ein harter Schlag, sie hat so lange zu uns gehört. Außerdem, versteht mich nicht falsch, aber die Saison beginnt, da fehlt auch ihre Arbeitskraft. Ich verstehe sie, hier steht jeder Stein für verlorenes Glück. Fredo kommt auch bald zur Schule, das ist von hier aus schwierig. Sie hatten noch keine gemeinsame Lösung gefunden, sie und Dietrich. Er wollte auf gar keinen Fall von hier weg.»
    Für die Arbeit sei Elena eingesprungen, ein Mädchen aus Rabanal. Sie sei sehr tüchtig und ihre Fröhlichkeit Balsam für die Seele.
    «Wartet, das Bild ist zu klein und nicht mehr aktuell. Hier ist eines, das erst Ostern aufgenommen wurde, ein schönes Doppelporträt von Camilla und Fredo, so heißt der Junge. Dietrich hatte es gemacht.» Sie richtete das Licht der Lampe auf den Rollschrank, doch sie suchte vergeblich unter den aufgestellten Rahmen. «Komisch, es ist weg. Camilla hat ein eigenes, vielleicht hat sie es trotzdem mitgenommen. Wo sollte es sonst sein? Hier verschwindet doch nichts. Was hat sie denn?» Nina hatte sich abrupt umgedreht und den Raum verlassen, ihre Schritte verklangen auf den Holzdielen des großen Zimmers, eine Tür wurde geöffnet und zugeschlagen. «Hat sie ihn doch gekannt?»
    «Das wäre ein wirklich absurder Zufall», fand Leo, «aber so etwas kommt vor. Es tut mir leid um deinen Freund, Mira. Mach dir keine Sorgen, wir behalten, was du erzählt hast, für uns. Ich sehe jetzt besser nach Nina, sie hat auch eine schwere Zeit.»
    Leo war wie elektrisiert. Zwei Abstürze auf dem so sicheren camino innerhalb weniger Tage, zwei Deutsche, beide aus Hamburg. Gab es so viele Zufälle?
    Im großen Wohnraum saßen nur noch Fritz, Enno und Felix, in ein Kartenspiel vertieft, Felix sah ihr stirnrunzelnd nach, als sie eilig durch den Raum und hinaus in den Hof ging.
    Ihre Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, ohne den Mond, der halbvoll über den Bergen hing, hätte sie ihre eigene Hand nicht gesehen.
    Nina hockte auf dem Rand des Brunnens. Zu ihrer Beruhigung genügte Leo ein Blick, um festzustellen, dass darin keine gähnende Tiefe drohte. Der Schacht war zugeschüttet, die steinige Erde von wucherndem Unkraut mit winzigen Blüten bedeckt.
    «Erzähl», sagte sie und setzte sich neben Nina. «Kanntest du ihn tatsächlich? Oder hat die Geschichte dich wegen Benedikts Sturz so erschreckt?» Nina schwieg, sie kratzte

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