Tod Auf Dem Jakobsweg
Töpfe Sukkulenten mit fleischigen mattgrünen Blättern und ein Rosmarinstrauch mit zartblauen winzigen Blüten sorgten für den nötigen Hauch südlicher Idylle. Zwei separat stehende Schuppen und ein Pferch mit einer Ziegenherde komplettierten das Anwesen. Auf dem zur Windseite geschrägten Flachdach des größeren Schuppens stolzierte am Rand eines Sonnenkollektors ein buntschillernder Hahn, drei weiße Hennen im Gefolge. Vor einem etwas zurückliegenden, aus Feldsteinen gemauerten Brunnen, der aussah, als liefere er schon seit Jahrhunderten kein Wasser mehr, stand ein hölzerner Karren, das stämmige kurzbeinige Pferd noch im Geschirr. Es knabberte mit langen Zähnen an der Kapuzinerkresse, die sich an den Steinen hinaufrankte, und ignorierte die Neuankömmlinge.
Jakob atmete erleichtert aus. Nur er wusste, dass eine Nacht in dem als gepriesenen Hostal zum ersten Mal zum Programm dieser Reise gehörte. Während der letzten Stunde hatte er das eine oder andere Stoßgebet Richtung Santiago de Compostela gesandt, die Herberge möge sauber und der Transport des Gepäcks vom Bus beim Parkplatz am Cruz de Ferro geglückt sein. Selbst Touristen, die sich halbwegs als Pilger verstanden, erboste nichts so sehr wie graue Handtücher und fehlendes oder auch nur verspätetes Gepäck.
«Frohe Botschaft», rief er. «Eure Koffer sind schon angekommen.»
«Natürlich sind sie das», antwortete eine füllige blonde Frau mit rosigen Wangen, die in diesem Moment aus dem Haus trat, «auf unseren Santiago ist immer Verlass.» Womit ausnahmsweise nicht der Heilige gemeint war, sondern das Pferd, dem sie liebevoll die staubige Mähne kraulte. «Seid herzlich willkommen», sagte sie und rieb die Hände an ihrem rot und weiß bestickten dunkelblauen Rock ab.
Sie stellte sich als Mira vor. «Fühlt euch bei uns wohl. Die Zimmer stehen bereit, das Abendbrot in einer halben Stunde. Ich hoffe, das warme Wasser reicht für alle.»
«Na, prima», raunte Fritz grimmig und fühlte diesmal Ritas Ellbogen an den Rippen.
«Das ist doch wirklich prima», erklärte sie munter, es klang nur ein kleines bisschen boshaft, «jetzt kannst du mal erleben, wie Leute wandern, die sich keine Vorstadtvilla und Vier-Sterne-Hotels leisten können.»
Der nächste Schock für Fritz folgte umgehend. Er und Rita mussten ein Zimmer mit Sven und Helene teilen, Eva, Caro, Selma und Edith ein weiteres, Felix, Enno und Jakob fanden ihre Betten in einer knapp mannshohen Kammer unter dem Dach neben dem Heuboden, Hedda, Nina und Leo residierten in einem schmalen Raum in dem neueren der beiden Schuppen. Die Zimmer waren schlicht, um nicht zu sagen karg, doch frisch geweißelt, sauber und liebevoll gestaltet. Die Handtücher waren dunkelblau, was in einer wasserarmen Gegend sehr praktisch ist.
Alle außer Fritz fanden diese Abwechslung amüsant, Selma verkündete, nun erst spüre sie ein echtes Pilgergefühl, diese Station sei eine Bereicherung, die sie nicht missen wolle. Und kaltes Duschen, ergänzte Enno, könne verweichlichten Stadtmenschen nur guttun.
Das Innere des Haupthauses — Fritz nannte es nur — überraschte alle. Aus ehemals vier kleinen Räumen, die gut drei Viertel der Grundfläche ausmachten, war ein großer entstanden. In dem aus Feldsteinen gemauerten Kamin wartete aufgeschichtetes Holz, zwischen schwarzbraunen, die Decke tragenden Balken stand ein alter Refektoriumstisch mit dazu passenden langen Bänken. Er war mit bemaltem Steingutgeschirr und Weingläsern, Kerzenleuchtern und zwei Vasen mit Wiesenblumen gedeckt. Mit bunten Kissen gepolsterte Korbstühle am Seitenfenster und beim Feuer luden zu Gesprächen bis tief in die Nacht ein.
Leo fand sich als Erste ein, neugierig wie immer, vor allem jedoch hungrig wie ein Wolf. Aus der Küche in einem der Anbauten hinter einer angelehnten Holztür kamen ein köstlicher Duft von Gebratenem, eifriges Geklapper von Töpfen und Küchengerät, Wortfetzen in schnellem Spanisch. Mira, eine Deutsche, die vor Jahren hier eine neue Heimat gefunden hatte, unterhielt sich mit Julián, ihrem spanischen Ehemann, die hohe, mädchenhafte Stimme gehörte ihrer Helferin, einem zierlichen Geschöpf mit dicken schwarzen Locken und Augen wie von Francisco de Goya gemalt.
Mehr Bewohner gab es nicht, Nina hatte gleich danach gefragt. Miras freundlicher Blick war dunkel geworden. «Nein», hatte sie nach kurzem Zögern geantwortet, «nicht mehr. Und unsere beiden Kinder sind nur noch in den Ferien
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