Tod Auf Dem Jakobsweg
und manchmal für ein zusätzliches Wochenende bei uns. Sie gehen in Santiago auf eine Schule, in der sie auch Deutsch lernen können. Mein Mann hat dort Verwandte, bei denen sie wohnen können. Allmählich», fügte sie seufzend hinzu, «sind sie auch in dem Alter, in dem sie Kino und Partys diesem Abenteuerspielplatz ihrer Kindheit vorziehen.»
Es musste hart sein, in solcher Einöde ein hostal zu führen. Jedes Pfund Gemüse, jede Flasche Wein oder Öl, Feuerholz, überhaupt alles, was zum täglichen Leben und zur Versorgung der Gäste gebraucht wurde, musste mit einem Pferdekarren herbeigeschafft werden. Im Winter, wenn eisiger Wind über die Höhen jagte und Schnee die Pfade unpassierbar machte, wurde das Anwesen zur Eremitage, hin und wieder von ungebetenen Gästen umstrichen. Denn in der verlassenen Bergwelt Kastilien-Leóns und Galiciens, so hatte der Reiseführer versichert, gebe es noch einige Braunbären und mehr als tausend Wölfe. Im Winter suchten die scheuen Tiere auch in der Nähe menschlicher Behausungen nach Nahrung.
Immerhin gab es auch ein Radio und ein Telefon, beides stand auf einem Tischchen neben dem zur Decke hinaufreichenden, bis in den letzten Spalt vollgestopften Bücherregal. Handys hätten hier wenig Chancen, hatte Mira bedauernd erklärt. Um damit telefonieren zu können, müsse man weiter aufsteigen, auch dort funktioniere die neue Technik nur notdürftig. Die Telefonleitung sei auch eine neue Errungenschaft, in besonders strengen Winterwochen des letzten Januar seien die Drähte gleich vereist und gebrochen, geschützte unterirdische Leitungen wie in den deutschen Städten seien hier natürlich unmöglich.
Das Essen wurde von Mira und Julián serviert und war fabelhaft. Zum Glück fragte Caro erst, als das Dessert gebracht wurde — Obstsalat und Schafsmilchjoghurt, dazu ein großes Brett mit Ziegen-, Schafs- und Blauschimmelkäse—, was für ein fabelhaftes Fleisch sie gerade gegessen habe.
«Ziegenlamm», erklärte Mira stolz, «aus unserer eigenen Aufzucht.»
Helene, die beim Anblick der Ziegenfamilie im Hof in Entzückensschreie ausgebrochen war, ließ vor Schreck den Löffel fallen, füllte hastig ihr Weinglas und leerte es mit einem Zug. Eva nickte mit Genugtuung, das geschah den Fleischfressern recht. Sie selbst aß nie tote Tiere.
Jakob schmunzelte. Er fand es ganz natürlich, delikate kleine Ziegen zu verspeisen, und war dankbar, dass seine Gebete Gehör gefunden hatten. Das Hostal war tatsächlich , aber genau, was sich Touristen mit Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit wünschten, wenn sie nicht zu lange bleiben mussten, und die Mahlzeit war die beste gewesen, die sie bisher bekommen hatten. Wer immer am Herd gestanden hatte, verstand sich exzellent auf die Mysterien ländlicher Kochkunst.
Nina hatte neben Leo Platz genommen, sie aß wenig und sprach noch weniger. Als das Essen beendet war und die große Gruppe sich in kleine Grüppchen verteilte, stand sie auf und schlenderte unruhig umher. Sie besah sich die Bilder an den Wänden, Schwarzweißfotos von malerischen Ausblicken oder verfallenen Mauern und Dächern unter knorrigen Bäumen, bei genauem Betrachten erkannte man auf einem das hostal wie es ausgesehen hatte, bevor geschickte Hände es in den jetzigen Zustand versetzten und durch die Anbauten erweiterten.
«Beeindruckend, was sie daraus gemacht haben», sagte Leo. Sie hatte gefunden, Nina strahle wieder diese Einsamkeit aus, die sie schon in Burguete an ihr bemerkt hatte, und beschlossen, ihr ihre Gesellschaft aufzudrängen.
«Ja», Nina verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust. «Schade, dass keine Menschen darauf sind, ich wüsste gerne, wie sie damals ausgesehen haben. Es muss ja etliche Jahre her sein.»
«Fünfzehn Jahre, ich kann es gar nicht glauben.» Mira war herzugetreten, sie fuhr mit dem Finger über den Rahmen des Bildes. «Wir waren zu sechst, damals. Eigentlich war die Zeit der Landkommunen längst vorbei, aber wir hatten alle einen romantischen Traum vom einsamen Landleben. Mit Romantik hat das allerdings wenig zu tun, drei sind bald wieder in die Städte zurückgekehrt. Und wir anderen... kommt mal mit.»
Sie drehte sich im plötzlichen Entschluss auf dem Absatz um, Leo und Nina folgten ihr in ein Zimmer, an dessen Tür privado stand. Der bescheidene Raum erwies sich als eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer, an einer Wand hing eine ganze Galerie von gerahmten Fotografien, weitere standen auf einem altmodischen
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