Tod auf der Donau
Martins Kollegen und so mancher Passagier gerieten in Verlegenheit. Webster taxierte die anderen Besatzungsmitglieder, und in seinem Blick war zu erkennen: »Du kommst auch noch dran!« Das Verhalten der Angestellten drückte eine distanzierte Höflichkeit aus, typisch für den Umgang mit widerwärtigen Kunden.
Webster erhob seine Stimme:
»Tatsächlich? Es freut mich, dass du deine Fehler zugibst! Du hast ja einige! Es waren schon so viele, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann.«
»Teilen Sie bitte mein Versagen unbedingt der Firma mit. Wenn Sie, sehr geehrter Herr Webster, unzufrieden sind, dann bin ich es doch auch. Ich schäme mich und werde mich darum bemühen, in den nächsten Tagen alles in meiner Macht Stehende zu tun, um fürIhre Zufriedenheit zu sorgen. Ich bitte Sie, beurteilen Sie mich weiterhin so streng wie heute. Notieren Sie sich bitte jede Beobachtung, und melden Sie diese der Zentrale in Chicago.«
Hier musste sich Martin erneut auf die Zunge beißen, doch Webster sah nicht so aus, als ob ihm etwas lächerlich vorkäme.
»Genau das werde ich tun, du musst dich ab jetzt richtig bemühen! Du und die ganze Mannschaft. Das Programm, das Essen, die Getränke, alles. Na ja, unterm Strich war es heute gar nicht so schlimm. Aber es hätte noch besser sein können … Auf Wiedersehen!«
»Nochmals vielen Dank. Auf Wiedersehen und alles Gute!«, erwiderte Martin und winkte ihm zu, glücklich, dass er seine lächerlichen Bitten und Rechtfertigungen endlich sein lassen konnte.
Webster verließ die Rezeption. Bevor er über die Schwelle des Salons trat, warf er Martin einen letzten Blick zu, siegreich und voller Verachtung. Er versuchte, die Tür zuzuschlagen, doch der automatische Schließmechanismus verhinderte dies. Er verschwand und bestellte an der Bar lautstark den teuersten Whisky. An der Rezeption herrschte Totenstille.
»Guten Tag. Ich suche Martin Roy!«
Diese Stimme war schon so lange in seinem Kopf, dass er daran zweifelte, ob sie überhaupt existierte. Er drehte sich nicht um und blickte zum Fluss hinaus. Ein Frachtschiff schwamm gegen den Strom und hielt einen Augenblick lang inne, so wie er.
»Bitte? Wer sind Sie?«, fragte Mirela an der Rezeption, streng darüber wachend, wer an Bord kam.
»Kannst du ihn rufen?«, verlangte das Mädchen.
»Niemand von der Besatzung hat heute einen Besuch angemeldet. Ich darf keine Fremden hereinlassen.«
»Ich muss ihn aber sehen!«
»Entschuldigen Sie, doch ich verbitte mir diesen Ton. Dies ist ein Privatschiff. Sie haben hier nichts zu suchen«, antwortete Mirela barsch.
»Das ist schon in Ordnung, sie ist zu mir gekommen«, sagte Martinzu Mirela, um den Konflikt zu beenden, bevor die Passagiere noch irgendetwas mitbekamen.
Das Mädchen hielt einen kleinen Koffer in der Hand und zwang sich zu lächeln. Ihr starrer Blick schockierte ihn. Was machte sie hier? Wie hatte sie ihn gefunden?
5. DER BESUCH
Mona Mannová stand vor ihm. Martin starrte sie wie ein Trugbild an. Auf der Donau kann man allerlei beobachten: Lichter, die sich an Stellen bewegen, wo es absolut keine Lichtquellen geben kann, Gestalten der längst Verblichenen, wie sie am Wasserspiegel herumirren, Phantome, Verkörperungen der geheimsten Sehnsüchte.
Wenn man mit dem Schiff unterwegs ist, wird jede Kleinigkeit zum Ereignis. Die Besatzungsmitglieder kennen sich gegenseitig bis in ihr tiefstes Inneres. Die kleinsten Episoden werden monatelang diskutiert.
»Sag nichts, und komm mit mir«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie trug ein weißes, tief ausgeschnittenes Kleid und hautfarbene Strümpfe. Er bat sie, nicht stehen zu bleiben, doch sie konnte sich an den Verzierungen am Oberdeck nicht sattsehen. Der Boden war mit einem zotteligen Teppich bedeckt, die Füße sanken bis fast zu den Knöcheln ein. Sie entdeckte einen Spalt in der Tür und schaute hindurch.
»Toll. Das muss teuer gewesen sein. Solche Bezüge wollte ich immer schon haben«, zwitscherte Mona. »Und diese sind noch schöner. Entschuldigung, ich wollte nicht stören, auf Wiedersehen!«, rief sie, als sie hinter der nächsten Tür auf eine Pensionistin aus Montana stieß.
»Die Kajüten hier sind größer als auf anderen Schiffen. Die Reisenden haben mehr Platz und Komfort. Und die Firma kann mehr Geld abkassieren …«, stammelte er, obwohl er eigentlich von ganz anderen Dingen reden wollte.
Die Mitglieder der Schiffsbesatzung durften eigentlich keine Besuche von Freunden, Ehefrauen oder Bekannten am Schiff
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