Tod auf der Donau
empfangen. Nur Routiniers verletzten diese Regel ab und an. In den Kajüten reisten mitunter ganze Familien mit, die den Passagieren vortäuschten, Angestellte des Reisebüros zu sein, so unternahmen sie Gratisurlaube. Martin hatte noch nie Gäste auf dem Schiff gehabt. Er ließ Mona vorgehen und strich sich kurz übers Haar.
»Welche von den Kajüten ist deine?«, fragte sie. Im leeren Gang hallte ihre Stimme.
»Keine von denen«, antwortete er. »Hier durch!«
Vorsichtig stieg er die schmale und steile Treppe hinunter. Der dunkle Gang rief in ihm noch immer ein Gefühl der Beklommenheit hervor. Als er vor einiger Zeit das erste Mal hinuntergestiegen war, hatte er es tatsächlich mit der Angst zu tun bekommen. Er gelangte mit Mona ins Unterdeck, wo es auch am Tag düster blieb. Die Neonlampen spendeten ein spärliches Licht. Jetzt liefen sie nicht mehr über einen Teppich, sondern auf fleckigem Linoleum.
Die Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Der Unterschied in der Lebensqualität könnte nicht größer sein. Unten lag eine ganze Stadt ausgebreitet: Küche, Lager, Motoren, kleine Aufzüge, Schächte und Rohre mit einem ganzen Kosmos seltsamer Wesen mittendrin – mal Mensch, mal Maschine –, die für die Touristengötter arbeiten durften. Gegen die schmutzigen Bullaugen knapp unter der Decke schwappte die Donau. Eine Ente huschte vorbei. Überall war Getrampel zu hören, und Martin kam es vor, als ob in einer der Kajüten kopuliert würde. Streitende Nachbarn hörte er laut und deutlich, als ob sie ihn beschimpfen würden.
Die Tür zum Maschinenraum war massiv, wie der Tresor einer Staatsbank. Je tiefer sie vordrangen, desto stärker dröhnten die Motoren. Die Luft war angereichert von Dieselgeruch und Schmierölen. Die Stangen und Bolzen bewegten sich in mächtigen Hüben. An der Decke hingen Lärmisolierungsplatten, doch hier unten ohne jede dämpfende Wirkung.
Die Matrosen schliefen eingepfercht in den Ecken, für manche gab es nicht einmal ein richtiges Bett, nur eine schmale Pritsche, eine Hängevorrichtung oder gar eine dünne Matte auf dem Boden. Ihre Gesichter waren mager, von der Schufterei und dem Alkohol gezeichnet, mit Spuren zahlreicher Schlägereien. Zwei Entlausungsgeräte waren häufig im Einsatz. Oft vermehrten sich auch Wanzen, und es dauerte Wochen, bis das Unterdeck diese Plage und die Besatzung ihre juckenden Pickel los wurden. Auch Martins Körper war oft übersät mit roten Läusebissen.
Den Matrosen kochte das Blut in den Adern. Schnell wurden Messer gezogen und ein paar Faustschläge ausgeteilt. Auf Sex mussten die meisten an Bord verzichten. Es gab nur wenige Frauen, die auf der
America
arbeiteten, in dieser Saison nur sechs, es waren also nicht genug für alle da, am Besten war der dran, der als Erster kam.
Die Rezeptionistin Mirela und die Putzfrauen Lariana, Venera, Madalina, Loredana und Ioana kamen aus Rumänien. Die Rumänen und Serben gehörten zu den stärksten Clans. Wer einmal einen Draht zur ADC hatte, versuchte, das Geschäft in den eigenen Reihen zu halten. Die Firma begrüßte das nicht, doch in Osteuropa musste sie sich anpassen. Die Abteilung für »Human Resources« wachte darüber, welche Leute aufgenommen wurden, doch Seilschaften funktionierten eben. Martin, der als Einziger aus Bratislava kam, hatte einen schweren Stand.
Obwohl die Rumäninnen noch nicht einmal dreißig waren, verloren sie schnell ihre Weiblichkeit bei der täglichen Knochenarbeit. Sie waren nicht hässlich, zwei sahen sogar ganz hübsch aus. Die schönste von ihnen, Putzfrau Venera, hatte ein edles Gesicht und einen attraktiven Körper, sie konnte sogar einen Bachelor in Sozialwissenschaften vorweisen. Zu Hause in Brasov war sie jedoch arbeitslos. Die Frauen an Bord mussten einige Energie aufwenden, um in Ruhe gelassen zu werden.
Schon nach zwei Monaten sahen die Rumäninnen alle gleich aus, Martin konnte sie kaum noch voneinander unterscheiden. Sie trugen kein Make-up, die Konturen der Gesichter verschwammen, in denen Leid, Müdigkeit und irgendwo auch eine scheue Zärtlichkeit vergraben lagen.
Manchmal kam eine neue Angestellte in die Wäscherei oder Küche, ein junges Mädchen für gewöhnlich, das sofort zum Objekt der Neugierde wurde. Sie zog das Kostüm mit dem Logo und die Pumps an und band sich die Haare (ADC-Vorschrift) zusammen. Trotz ihrer Uniform fiel sie auf, sie passte nicht hinein und begriff es auch schnell. Ihren erschrockenen Augen konnte man schon nach
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