Tod auf der Donau
auch gelungen – und das war schrecklich«, sagte Martin.
»Danke, dass du mich hier aufgenommen hast.«
»Nur für eine Nacht. In Passau steigst du aus.«
»Das wird man sehen.«
»Das wird man nicht sehen. Verzeih, aber geh bitte. Trennen wir uns doch für immer, das ist das Einzige, was man noch machen kann.«
»Aber wie werden wir leben?«
»Wie Menschen. Jeder für sich«, entgegnete er.
Die Touristen gingen schlafen, einer nach dem anderen. Das letzte Licht im letzten Fenster erlosch. Nur oben beim Kapitän brannte noch Licht. Die Sterne glitzerten, und die Ruhe wurde nur durch Wellen des Flusses unterbrochen.
»Warum erzählst du mir das alles, wenn du es trotzdem so beenden willst? Wie kannst du überhaupt – nach allem, was wir zusammen erlebt haben? Soll ich mir anhören, was du zu sagen hast, und dann packen und gehen?«
»Es wäre besser.«
Ihr Gesicht wurde blass. Sie schenkte sich ein Glas voll und trank es auf ex. Er spürte ihren Blick auf seiner Haut wie einen Peitschenschlag.
»Martin, ich will, dass du endlich verstehst, dass dieser kleine Koffer unser Leben verändern kann«, sagte sie.
»Unser Leben? Wir haben ein gemeinsames Leben? Du kannst höchstens dein Leben ändern. Das würde dir auch guttun.«
»Nein, ich meine wirklich unser Leben – von uns zweien, dir und mir. Du solltest dir das überlegen. Und mich nicht beschimpfen.«
»Ich habe deinen Koffer kurz in der Hand gehalten, als du geschlafen hast – ich geb’s ja zu. Und weißt du was? Ich wette, dass er leer ist. So wie du.«
Sie beschwor alles Böse in ihm herauf, und in den vielen Jahren hatte sich einiges aufgestaut. Er riss ihr den Koffer aus der Hand.
»Stopp! Gib ihn mir!«, schrie sie. »Warte! Was machst du?«
Er holte aus und warf ihn mit voller Wucht von sich – der Koffer öffnete sich im Flug, für einen Bruchteil einer Sekunde blieb er in der schwarzen Luft stecken, um blitzartig unter die Wasseroberfläche zu schlüpfen. In diesem Moment flogen auch grüne Hunderteurobanknoten und orangene Fünfziger heraus, sie wirbelten durch die Luft und sanken, tauchten in die Donau ein und verloren sich in der Dunkelheit. Martins Knie begannen zu zittern.
Mona stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Sie beugte sich übers Geländer und streckte ihre Hände aus, doch es war zu spät. Martinfolgte ihr und stellte sich neben Mona, damit sie sich nicht irgendwas antat.
Sie heulte laut und hob die Hände in die Höhe.
»Beruhige dich, bitte! Mona, hörst du mich?!«, wiederholte Martin unermüdlich. Er versuchte, sie zu halten.
»Hände weg! Sofort! Lass mich! Hör auf!«
Eine Weile sah er das Geld noch auf dem schäumenden Wasser schwimmen. Dann schloss sich die Kielwelle hinter ihm, und das Schiff zog unbeirrt weiter.
»Nein. Das ist nicht wahr. Das kann nicht …!«
»Das reicht jetzt! Hör auf! Sonst schmeiße ich dich hinterher!«, schrie er.
»Sei still. In ein paar Sekunden hast du alles zerstört. Wie immer. Das hätte ich mir eigentlich denken können. Wozu bin ich überhaupt hergekommen? Scheiße!«
Er bedeckte ihren Mund mit seiner Hand, damit die Passagiere nicht aufwachten. Monas Kehle entfuhr dennoch ein fürchterlicher Schrei. Dann trat eine angespannte und zugleich seltsame Stille ein. Er hörte nur seinen eigenen Atem und den schnellen Herzschlag im Brustkorb. Der Mond sah aus wie ein mit Blut vollgesogener Schwamm. Beide fürchteten jedes weitere Wort. Mona ließ sich mit dem Rücken zur Donau niedersinken.
»Ich habe keine Ahnung, wie viel drin war. Einige Tausend«, sagte sie.
»Dann weiß ich wenigstens nicht, wie viel genau ich dir schulde«, antwortete Martin.
»Du hast etwas Furchtbares getan. Das werde ich dir nie verzeihen.«
Sie begann traurig zu lachen und wurde dann abrupt still. Ihre Wimperntusche war verschmiert und hatte schwarze Zickzacklinien auf ihren Wangen hinterlassen.
Die Donau floss ihrem Schicksal entgegen, verband den Westen mit dem Osten, den Tag mit der Nacht, den Traum mit dem Wachsein,wälzte sich durch verschiedene Kulturen und vereinte alle, ohne ihre Gegensätze aufzuheben.
»Gehen wir in meine Kajüte«, schlug Martin vor.
»Gerade noch hast du mich gebeten zu gehen!«
»Ich habe meine Meinung geändert. Bleib hier – wenn du noch willst.«
Sie folgte ihm; in der Kajüte setzte sie sich aufs Bett, zog an ihrer Zigarette und weinte. Martin montierte schweigend den Rauchmelder ab.
»Deine Gewissensbisse kannst du dir sonst wohin stecken. Gib mir
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