Tod auf der Donau
die Auflistung ihrer Tabletten eine ganze A4-Seite. Wenn sie nicht tranken, dann beschwerten sie sich ständig.
Zehn Kilometer stromabwärts hinter Regensburg erreichten sie die Walhalla, die sich in einer Höhe von hundert Metern über dem Wasser befand:
»In ihr befinden sich Statuen bedeutender Deutscher, insgesamt gibt es dort rund hundertdreißig Büsten, Persönlichkeiten aus der zweitausendjährigen Geschichte dieser Nation. Goethe und Mozart sind dort verewigt, aber auch viele, deren Namen Ihnen nichts mehr sagen würden. Hitler hat sie 1937 besucht, um dem Komponisten Anton Bruckner die Ehre zu erweisen. Wenn Sie einmal mehr Zeit haben, besuchen Sie bitte auch dieses Stück Griechenland in Bayern, es lohnt sich wirklich.«
Es machte keinen Sinn, den Touristen erklären zu wollen, dass Ludwig I., König von Bayern, die Walhalla im dorischen Stil, inspiriert vom Parthenon in Athen, hatte erbauen lassen; doch noch bevor dieser die Fertigstellung erleben konnte, wurde er von der Geschichte (und vor allem von seiner Liebe zur schönen Lola Montez) hinweggefegt. Martin wies auf das Panorama hin und versprach noch mehr solcher Orte, in Österreich und in der Slowakei. »Lola bekommt, was immer sie will«, waren die Worte der legendären Geliebten König Ludwigs, und dasselbe galt auch für seine Passagiere.
»Die Donau ist nach der Wolga der zweitgrößte europäische Fluss, durch Deutschland fließt jedoch nur ein kleiner Teil von ihr«, fuhr Martin fort. »Sie mündet ins Schwarze Meer, das ist auch das Ziel unserer Reise, während die anderen deutschen Flüsse in die Nord- oder Ostsee münden. Die Länge der Donau beträgt in Deutschland 647 Kilometer, also ungefähr vierhundert Meilen. Im südlichen Schwarzwald, nicht weit von der Stadt Triberg, rund tausend Meter über dem Meeresspiegel, ist die Donau nicht mehr als ein kleiner Bach. Bei Passau ist sie schon zu einem breiten Strom angewachsen.«
Seine Gedanken schweiften immer wieder zu Mona ab. Schlief sie noch? Was führte sie im Schilde? Er durfte die Passagiere nicht mit zu vielen Fakten überschütten, daher konzentrierte er sich auf das, was die Firma für das Allerwichtigste hielt:
»Wenn es unter Ihnen einige gibt, die sich schon zurückziehen wollen, möchte ich Sie noch darüber informieren, dass unten an derBar gerade die ›Happy Hour‹ beginnt. Die Cocktails gibt es jetzt um ein Viertel billiger. Lassen Sie sich doch das nicht entgehen! Der Klavierspieler Gábor Kelemen, der gestern schon einige von Ihnen zum Tanzen brachte, freut sich schon auf Sie. Den anderen wünsche ich einen ruhigen und tiefen Schlaf.«
Atanasiu telefonierte mit der Schifffahrtszentrale, mit der rechten Hand umklammerte er das Steuer, die Augen konzentriert nach vorn gerichtet, obgleich er schon ein paar Gläschen gekippt hatte. Ein Flussschiff zu steuern ist durchaus anstrengend. Überall, sogar in den ruhigsten Abschnitten, kann etwas Unvorhersehbares passieren. Die meisten Tragödien ereigneten sich jedoch nicht in den bayerischen Engpässen, sondern bei Wien, in Bratislava oder im seichten Deltawasser.
Die Seeschiffe werden immer größer und die Besatzungen immer kleiner, weil ein Teil der Arbeit von der Technik erledigt wird. Bei den Angestellten sparen die Firmen am liebsten. Ein Flussschiff verhält sich ganz anders als ein Überseeschiff, welches so programmiert werden kann, dass es die Strecke vom Persischen Golf bis nach Liverpool eventuell auch selbst erledigt – es ist günstig für den Eigentümer, weil er so viel Geld sparen kann, und auch für die Restbesatzung, die kaum noch etwas zu tun hat. Oft passiert es, dass ein Supertanker überhaupt nicht registriert, dass er gerade an Schiffbrüchigen vorbeifährt, weil diese vom Radar gar nicht mehr erfasst werden.
Atanasiu wurde von der Firma hoch geschätzt, weil er über eine Qualifikation verfügte, für die man bei der europäischen Bürokratie Jahre brauchte und die zudem ein Vermögen kosten würde. Der Kapitän benötigte ungeheuer viele Zertifikate, sie nahmen einen ganzen Ordner in Anspruch. Er missbrauchte dennoch seine Stellung und trank nahezu überall. An jeder denkbaren Stelle der Kapitänsbrücke waren Schnapsflaschen versteckt.
»Magst du?«, Atanasiu bot ihm etwas an.
»Danke, ich bin im Dienst, so wie du, nur ganz nebenbei«, antwortete Martin.
»Am liebsten würde ich gar nichts trinken, doch mein Körper liebt eben den Alkohol«, antwortete der Kapitän.
Am linken Ufer erstreckte
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