Tod auf der Donau
sich eine fruchtbare Ebene mit Bauernhöfen. In den nächsten Stunden würden sie kleine Städte passieren, die sicher in der Landschaft eingebettet lagen, genauso wie ihre Kirchen, deren Fundamente schon zu Beginn des Heiligen Römischen Reiches gelegt worden waren: Bach, Deggendorf, Niederalteich.
Die Obere Donau zwängte sich zwischen die Hügel und fand allmählich ihre Form und Größe. Aus Regensburg floss sie südöstlich bis zur Mündung des Inn. Sie stieß auf den Bayerischen Wald, änderte die Richtung und geriet in eine steinige Schlucht, floss durch Straubing, verbreiterte sich dort, um sich bald schon wieder zu verengen und von rechts die Zuflüsse Isar und Vils aufzunehmen. Das Donnern der Motoren hallte von den Felsen zurück, und als Martin aus dem Fenster blickte, wehte ihm eine Sommerbrise entgegen.
Hier passte sich der Fluss der Landschaft an, an manchen Stellen bezwang er sie sogar. Die trügerischen Abschnitte passierte das Schiff vorsichtig, tückische Sandbänke verbargen sich dort. Die digitale Navigation senkte zwar die Risiken, doch erst vor zwei Jahren verunglückte dort ein großes russisches Schiff. Der Abschnitt mit dem felsigen Boden stellte schon in der Vergangenheit eine große Gefahr dar, bis 1927 schließlich der erste Stausee mit der Schleusenkammer Kachlet gebaut wurde.
Der Standort des Kapitäns, der höchst gelegene Punkt des Schiffes, gewährte ihm eine gute Sicht in alle Richtungen. Die hohen Fenster wurden von den Matrosen jeden Morgen gereinigt. Die phosphoreszierenden Ziffernblätter der Tiefenmesser und das Display mit dem Navigationssystem flimmerten. Am Vorschiff drehten sich die Antennen.
»Du solltest nicht so viel trinken«, warnte Martin den Kapitän.
»Ich sollte nicht, doch ich tue es«, antwortete Atanasiu und nahm einen ordentlichen Schluck aus der Kaffeetasse, in die er sich immer wieder nachschenkte.
»Willst du nicht auch etwas Wasser trinken?«, fragte Martin.
»Nein. Der Wodka reicht mir«, erwiderte er schroff.
Er gönnte sich drei weitere Schlucke. Gott sei Dank sah das außer Martin niemand. Möglicherweise wurde die Wirkung des Alkohols durch die höllische Hitze noch gesteigert.
Martin dachte an Mona. Er ging vom Sundeck aufs Hauptdeck und stieg dann die Stiege auf der linken Seite nach unten. Im Salon spielte Gábor Ragtime. In der Mitte führte Mona einen wilden Tanz auf, der Rock flatterte und hob sich bis zu den Schenkeln und noch höher. Die Pensionisten umkreisten sie mit geröteten Wangen. Die Besatzung fühlte sich durch sie augenscheinlich nicht gestört – einer schönen Frau vergibt man doch alles. Wäre ein Mann ohne offizielle Erlaubnis hier, er würde sofort hinausgeschmissen werden.
»Was machst du hier?«, rief er Mona zu.
»Ich tanze!«, schrie sie zurück.
»Komm weg von hier!«
»Du hast mich doch eingeladen!«
»Ich? Wann? Du hast hier nichts zu suchen!«
»Du hast es im Radio gesagt. Ich habe dich gehört. Dadurch bin ich erst aufgewacht.«
Martin wurde klar, dass er sie tatsächlich aus dem Schlaf gerissen hatte – das Audiosystem in der Kajüte durfte man nie ausschalten, um keine wichtige Nachricht zu verpassen.
»Entschuldige, dass ich dich aufgeweckt habe. Doch jetzt gehen wir wirklich. Ich muss dich dem Kapitän vorstellen. Im Moment bist du illegal da – zum Glück haben wir noch keine Grenze passiert. Sonst wäre das schon längst ein Skandal. Und eine durchwachte Nacht ist das Letzte, was ich im Moment brauche. Morgen habe ich einen schweren Tag.«
Mona sah ihn ergeben an. Sie waren schon fast draußen, als sich ihnen Foxy anschloss, in einer grauen Flanellhose, elfenbeinfarbener Bluse und mit flachen Schuhen.
»Wir kennen uns noch nicht, ich bin Foxy«, stellte sie sich vor.
»Mona. Es freut mich. Martin ist mein Freund«, erklärte sie mit einer lächerlichen Ernsthaftigkeit und schaute ihn von der Seite an. Er schüttelte den Kopf.
»Das bin ich nicht«, antwortete er.
»Das ist schade. Ihr würdet gut zueinander passen.«
»Mona ist meine … Freundin aus Kindertagen«, erklärte Martin.
»Das stimmt. Das bin ich. Viel Spaß, Foxy!«, rief Mona, und als sie ein Stück weitergegangen waren, fragte sie: »Schläfst du mit ihr?«
»Sie ist eine Passagierin!«
»Also doch. Das hätte ich mir denken können. Du bist schrecklich.«
»Wenn du es wirklich wissen willst, hat sie es mir gestern tatsächlich vorgeschlagen. Ich habe abgelehnt.«
»Da kannst du nur froh sein. Eine grässliche Kreatur.
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