Tod auf der Donau
irgendwie lebendig. Hinter ihm schrie jemand auf. Auch der Kapitän bekreuzigte sich. Veneras Schönheit war noch nicht verschwunden, sie hatte sich nur verändert. Am schrecklichsten war die marmorne Blässe ihrer Haut. Im Mundwinkel hatte sie einen eingetrockneten weißen Klumpen, vielleicht etwas Essen oder Erbrochenes. Er wischte ihr die Lippen ab.
»Hatte die Arme Familie?«, fragte er.
»Nein. Gott soll ihr gnädig sein«, bat Loredana.
Er untersuchte den Körper, und sein Herz schlug endlich wieder normal. Aus welchem Blickwinkel er die Situation auch betrachtete, er kam immer zum selben Schluss – verlassen konnte er sich nur darauf, was er sah.
»Noch zwei wichtige Sachen. Erstens, um den Körper kümmert sich Martin heute Nacht. Zweitens, eine Stelle in der Wäscherei ist frei geworden. Wenn Mona Interesse daran hat, dann kann sie dort anfangen. Andernfalls verlässt sie das Schiff. Ab jetzt herrscht hier der Notstand. Keine Besuche, keine Landgänge, verschärfter Dienst.«
»Ich akzeptiere«, erklärte Mona.
Martin starrte sie ungläubig an.
»Meinst du das ernst?«, fragte er.
»Ich war sowieso auf Jobsuche …«
Sie versuchte, sicher zu wirken, doch Martin merkte, wie nervös sie war.
»Lasst uns in den Speisesaal gehen«, rief der Kapitän. »Ich brauche einen Drink.«
Martin ging hinter den anderen her. In den dunklen Gängen begleitete ihn eine rätselhafte Kraft, trügerisch und schwer, wie eine Decke aus grauem Nebel, der langsam aus dem Fluss steigt und Gestalt annimmt. Das Böse kam aus dem Nichts, machte sich auf dem Schiff breit und hielt es gefangen.
In der Kantine stellte er Mona den restlichen Besatzungsmitgliedern vor.
»Ich hatte auf eine bessere Gelegenheit gehofft«, sagte er, »doch die Dinge haben sich anders entwickelt. Das ist unsere neue Kollegin.«
Einer nach dem anderen begrüßte Mona. Die Männer konnten die Augen nicht von ihr lassen. Den Neid der Männer registrierte Martin mit Genugtuung. Weder die gierigen Blicke, noch die zweideutigen Anmerkungen und Gesten schienen Mona zu stören.
»Ist uns allen eine Ehre!«, sagte Tamás.
Kurz darauf stimmte Martin mit den anderen ein: »Auf Venera! Friede ihrer Seele! Ruhe in Frieden.«
»Auf unsere Frau Direktor, Chairwoman of Housekeeping! ADC sagt danke«, ergänzte Atanasiu.
»Sie war eine meiner besten Kundinnen!«, setzte Dragan nach,prustete los und zerstörte definitiv den letzten Funken an Pietät in diesem Augenblick.
Die Männer setzten sich, dort wo Platz war, drehten Zigaretten und rauchten sie bis zum Stummel.
»Hat jemand bemerkt, dass sich Venera anders verhalten hätte? Hatte sie Angst? Sorgen?«, fragte Martin.
»Nein, würde ich nicht sagen«, antwortete Loredana. »Sie hatte wahnsinnig viel zu tun … wie wir alle.«
»Wer hat Venera als Letzter gesehen?«, fing Martin wieder an, doch keiner wollte noch darüber reden. »Es ist ja am helllichten Tag passiert! Jemand muss doch in der Nähe gewesen sein. Wieso sind nicht alle da?«
»Morgen. Morgen reden wir darüber. Jetzt braucht jeder von uns ein bisschen Ruhe«, erklärte der Kapitän.
Martin konzentrierte sich auf die Gesichter. Gut 30 Crewmitglieder. Die Frauen verdächtigte er nicht, der Kapitän und Tamás kamen ebenfalls nicht in Frage.
In der Crewkantine wurde laufend irgendwas gefeiert. Doch jetzt war die Party zu Ende. Der Maschinist Dragan drängte sich zu Mona, begrüßte sie mit einem Kopfnicken und gab ihr ein Küsschen auf die Wangen. Die Drogen aus seinen heimlichen Vorräten steigerten oft genug die Ausdauer der Crew. Er hatte schon immer an Bord damit gehandelt. Er hatte seine Lieferanten für Haschisch und Koks, von Serbien aus nach Deutschland, doch auch von Rumänien nach Bratislava und Wien. Wenn er betrunken war, redete er wirres Zeug und brüllte herum, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ans Tageslicht kam er kaum.
Suang erklärte, bis zum Abendessen bliebe nur noch eine Stunde, er zog sein Team ab.
»Könnt ihr euch erinnern, wie Atanasiu in Russe so besoffen war, dass er nicht mehr zurück aufs Schiff gefunden hat? Da sind wir vor Mitternacht in den Hafen gegangen und …«, legte Tamás los.
»Gehen wir weg von hier!«, flüsterte Martin in Monas Ohr.
»Warte noch!«, rief ihm der Kapitän zu.
Martin zuckte zusammen. Atanasiu beugte sich zu ihm und flüsterte ihm zu: »Um vier Uhr in der Früh, sobald sich das Schiff in Bewegung setzt …«
Er nickte und kehrte in die Kajüte zurück. Er hatte genug von
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