Tod auf der Donau
sich die Landstraße entlang. Den Blicken der Anwohner konnte man entnehmen, dass sie Amerikaner nicht sonderlich mochten. Nach einem einstündigen Spaziergang stellte sich Martin vor die Gruppe und verteilte zusammen mit den Reiseführerinnen kopierte Rezepte für eine Linzer Torte, die er vorher aus dem Internet gezogen hatte. Mit solchen Kleinigkeiten sammelte er wichtige Punkte, obwohl er wusste, dass die meisten das Papier sofort verlieren oder vergessen würden. Er hätte nicht einmal garantieren können, ob man aus dem Mehl, Mandeln, Marmelade, Zimt, Nelken, Muskatnuss, Butter, Ei und Salz wirklich einen Kuchen backen konnte.
»In der Linzer Torte finden Sie alles, was die barocke Küche als schmackhaft und wertvoll ansah. Nur das richtige Mischverhältnis macht aus den Zutaten eine gelungene Komposition. Liebe Damen, zögern Sie nicht, dieses Linzer Souvenir mit nach Amerika zu nehmen.Die Experten meinen, dass die Torte umso besser wird, je länger man sie lagert!«
Die Gruppe ging in den Ursulinenhof, um sich eine Ausstellung über Donaufotografien anzusehen. Man zeigte ihnen sogar einen kurzen Dokumentarfilm über die Geschichte der Stadt. Martin war draußen geblieben und erledigte einige Telefongespräche. Während der Schiffsreise war er dem Geschehen jeweils einen Tag voraus. Lag das Schiff noch in Regensburg vor Anker, klärte er die Details für Passau, in Linz war er mit Wien beschäftigt und so weiter. Er legte auf und blickte über die Nibelungenbrücke zum Pöstlingsberg. Die Aussichtsterrasse in 500 Metern Höhe war mit der steilsten Reibungsbahn Europas zu erreichen. Er kaufte eine Gruppenkarte und dachte, als er zur Donau blickte, an Karl May, der 1902 in Linz abgestiegen war. Der Schriftsteller wohnte im Hotel »Zum roten Krebs« und hatte dort einen Streit mit dem Fotografen Adolf Nunwarz. Der Porträtfotograf schmiss 101 Negative von Karl May in die Donau, fast so wie Martin Monas Geld.
Beim Einstieg in die Straßenbahn schaute er nach seinen Passagieren. Alles Weiße. Die Firma wehrte sich verbissen gegen Afroamerikaner. In seiner gesamten Karriere hatte Martin lediglich zwei Farbige an Bord erlebt, doch denjenigen, der dies zugelassen hatte, kostete es später seinen Posten. Die Untersuchungen ergaben unmissverständlich, dass sie von den weißen Passagieren nicht erwünscht waren, und Präsident Barack Obama konnte an dieser Einstellung auch nichts ändern. Man erzählte sich unter der Hand, dass die Mitarbeiterinnen im Callcenter spezielle Schulungen bekämen, um den Akzent (und somit eine Zugehörigkeit zu einer Rasse) herauszuhören. Die Reisen wurden vor allem über Telemarketing bestellt, und wenn der Verdacht auftauchte, dass ein Afroamerikaner in der Leitung sein könnte, wurde diesem mitgeteilt, dass keine Plätze mehr an Bord zu haben seien. Ihre Haushalte bekamen selbstverständlich auch keine Werbekataloge, die tonnenweise gedruckt und allen Weißen in den Vereinigten Staaten förmlich aufgezwungen wurden.
Er überlegte, ob die neue Situation die rassistische Firmenstrategie wohl auf Dauer ändern würde. Wie der Buchmarkt erlebte auch die Reisebranche und mit ihr die American Danube Cruises in den letzten zwei Jahren einen Einbruch. Aufgrund der Wirtschaftskrise hatte die ADC viele Routen gestrichen, einige Schiffe lagen auf unbestimmte Zeit in holländischen Docks, weil sie nicht ausgelastet waren, das Schiffspersonal wurde reduziert, die Barmusik, der Masseur und der Zauberer wurden eingespart. Auch für das Programm hatte Martin immer weniger Geld zur Verfügung.
Nach einer Stunde kehrte die Gruppe von ihrem Ausflug zurück.
»Die heutige Tour war sicherlich anstrengend, auch für die Tüchtigsten unter Ihnen. Ich bin jedoch überzeugt, dass Ihnen das exzellente Mittagessen wieder neue Kräfte verleiht. Sie genießen heute die österreichische Spezialität Tafelspitz mit Kartoffeln und Gemüse, und unser Chefkoch Suang serviert Ihnen auf Wunsch Apfelkren dazu. Wer Lust hat, kann auch ein paar Käsespätzle probieren. Guten Appetit, nach dem Essen finden Sie mich natürlich am ADC-Pult. Unsere lieben Reiseführerinnen haben Ihnen hoffentlich auch ein bisschen Deutsch beigebracht, verabschieden wir uns also von ihnen!«
»Auf Wiedersehen!«, riefen die Touristen im Chor.
Sie kamen an Bord und strahlten.
»Willkommen home! Good Nachmittag überall! Hallo, hallo, have a schöne Day!«, begrüßte sie der Kapitän.
»Danke, ja, hier sind wir zu Hause!«, gaben die
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