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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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so schnell wie noch nie zuvor. Mona tauchte auf und trank mit.
    Als sich der betrunkene Martin in seine Kajüte schleppte, musste er die Wände zu Hilfe nehmen, um nicht hinzufallen. Mona ging mit, obwohl er sie mehrere Male aufforderte, ihn in Ruhe zu lassen. Er meinte, im Gang ein paar Stimmen zu hören, das Flüstern der Toten, die sich miteinander unterhielten. Falls die Hölle jemals ein Ort war, würde sie sich nicht von diesem Schiff unterscheiden.
    In der Kajüte schmiegte er sich – mehr aus Verzweiflung, denn Verlangen – an Mona. Er küsste sie. Sie umarmte ihn. Dann folgte ein Blitzschlag, überall weißes Licht, das in seinem Kopf explodierte und die Nacht auslöschte.

20. RABEN
    Als er neben Mona aufwachte und seine Augen öffnete, ließ ihn der Kater sofort ins Bett zurücksinken. Er hoffte, zwei Kopfwehtabletten und ein großes Glas Wasser würden die Beschwerden etwas erträglicher machen. Als er jedoch zehn Minuten später in den Gang trat, fühlte er sich immer noch wie erschlagen. Er ahnte, dass nun eine weitaus schwierigere Phase der Schiffsreise beginnen würde. Ein Passagier weniger und niemand durfte davon erfahren, alles musste wie bisher weitergehen. Er würde nicht mehr nur einfach ein Schauspieler sein, vielmehr müsste er nun mit Vorsatz täuschen; es machte ihn zum Mittäter.
    Auf dem Weg zum Sonnendeck überfiel ihn die glühende Hitze, und ihm wurde speiübel. Das Schiff bewegte sich im Sonnenaufgang zur anderen Seite des Flusses. Am Ufer unter dem Burghügel ankerten drei weitere Ausflugsschiffe: das ukrainische hieß
Odessa
, das rumänische
Dunarea
und das russische
Fürstin Anna
. Martin wäre am liebsten in eines der drei umgestiegen, bloß weg von der
America
. Vergeblich bemühte er sich den ganzen Vormittag darum, unbekümmert mit den Passagieren zu plaudern, dabei zitterten seine Hände, und seine Kehle war wie ausgetrocknet. Die Amerikaner wollten den freien Tag nutzen und Thermalquellen besuchen, denn Budapest hatte schließlich mehr als 200 davon zu bieten, des weiteren Souvenirs einkaufen und sich die Große Synagoge ansehen.
    Trotz allem wollte er den Gästen bis zum Ende dieser Reise das Bestmögliche bieten, vor allem jedoch wollte er möglichst schnell ans Ziel. Er behielt alle üblichen Gewohnheiten bei und versuchte, den Anschein einer Normalität zu wahren. Er gab Rat, beschrieb Sehenswürdigkeiten, navigierte, bestellte Taxis, telefonierte, berechnetedie Wechselkurse, arbeitete mit vollem Einsatz, obwohl er einige Male nahe dran war, sich zu übergeben.
    Er würde sich beide Todesfälle noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Sollte er nicht doch die Polizei rufen?
     
    Martin begleitete John Stansky mit seiner Frau bis zur U-Bahnstation und half ihnen beim Fahrkartenkauf. Als er die
America
aus der Ferne sah, wirkte sie auf ihn ganz anders als früher. Verdreckt, mit tiefen Furchen an den Seiten, die Geländer schienen schwarz. Unter anderen Umständen hätte es wohl die gelungenste Schiffsreise des Jahres werden können, die auch noch einen ordentlichen Verdienst einbrachte, aber jetzt …
    Ein Schwarm Raben kreiste über dem Schiff. Auf die Kapitänsbrücke, auf die Liegen, Geländer und Säulen, überall setzten sich die Vögel, vergeblich versuchten die Matrosen, sie mit Geschrei zu verscheuchen, doch die Raben blieben an Ort und Stelle, als ob sie die
America
für ein unbewohntes, mit den Wellen ziellos ziehendes Wrack halten würden. Weder der Kapitän noch die ältesten Mitglieder der Crew hatten so etwas je erlebt.
    Selbst wenn sie aufflogen, verabschiedeten sie sich mit einem schrillen Krächzen. Die schwarzen Silhouetten kreisten über den Köpfen. Das Gesicht des Kapitäns verfinsterte sich zusehends. Überhaupt fielen nur noch ganz wenige Worte auf dem Schiff, es war ein absolut schweigsamer Tag in Budapest. Und sollte irgendwer von der Besatzung gelächelt haben, dann war es nur ein aufgesetztes Grinsen.
    Bei den Ausflügen der Amerikaner kam es zu keinerlei Störfällen. Niemand renkte sich einen Knöchel aus, niemand wurde von Taschendieben oder Taxifahrern ausgenommen.
    Als sich die
America
nach dem Mittagessen in Bewegung setzte, fuhren auf dem Oberdeck die Raben mit. Hinter Budapest schlug die Donau eine südliche Richtung ein und teilte sich in zwei Flussarme: einen linken namens »Sereth« und einen rechten Hauptarm namens »Budafocke«, die beide die 50 Kilometer lange Insel Csepel umschlossen.Östlich breitete sich die Tiefebene Alföld

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