Tod auf der Donau
von der endlosen Ebene mit all ihrer Melancholie, den Rinderherden und der vor Hitze schwirrenden Luft. Die Passagiere schliefen oder dösten.
Da kaum Verkehr herrschte, dauerte die Rückfahrt nur knapp über eine Stunde. Der aufgebrachte William Webster stieg als Erster aus, sagte kein Wort, hinter ihm torkelte die restliche Gruppe an Bord. Die Dankesworte an Martin nahmen kein Ende.
Am Schiff beschlossen einige Amerikaner, im Salon noch weiterzutrinken. Sie luden auch Martin ein, doch dieser entschuldigte sich höflich, er müsse am nächsten Morgen früh aufstehen und arbeiten.
Es war schon fast Mitternacht, und er überlegte, ob er jetzt noch zu Clark Collis gehen oder es auf Morgen verschieben sollte. Er fühlte sich ein bisschen schwindlig. Nach den Geräuschen in der Kajüte würde er sich entscheiden; wenn er nichts hörte, ginge er schlafen. Die Tür war überraschenderweise nur angelehnt.
»Guten Abend! Herr Collis, darf ich hereinkommen?«
Keiner antwortete.
»Hallo. Sind Sie da, Herr Collis? Ich habe eine Überraschung für Sie.«
Er tippte die Tür an und sah auf das leere Sofa. Auf dem Nachttisch lagen die Schmerztabletten. Der Raum wirkte, als hätte Herr Collis alles liegen und stehen lassen und sei plötzlich irgendwo hingegangen oder jemand hätte ihn abgeholt. Sowohl das eine als auch das andere konnte man ausschließen.
»Herr Collis?«, rief Martin. »Clark?«
Dann bemerkte er einen dunkelroten Strich, der sich unter der Badezimmertür hinzog und sich langsam verlängerte, bis er schließlich einen Fleck auf dem hellen Teppich hinterließ. Martin machte die Tür auf, und Clarks Körper fiel gegen sein Bein.
Der Körper war noch warm, und aus dem Hinterkopf floss Blut. Der Raum sah aus wie ein Schlachthaus. Die weißen Fliesen warendunkelrot bespritzt. Im Neonlicht kam ihm der tote Körper grotesk unpassend, ja unwirklich vor. Mit einem unangenehmen Geschmack im Mund versuchte er sich wegzuschleichen, doch erst beim dritten Mal bekam er die Klinke zu fassen. Er riss die Tür auf, doch im Gang verließen ihn die Kräfte.
Das ist das Ende der Fahrt und der
MS America
. Er schrie nur deshalb nicht auf, weil er keinen Ton hervorbrachte. Mirela hatte bereits die Nachtbeleuchtung angemacht. Hier geht es hinunter, überlegte er. Schnell ins Unterdeck, die Stufen hinunter und weg, weg! Weg von hier, damit er keinem Passagier begegnete, mit dem er reden müsste. Zu spät! An der Ecke stand Mona. Warum schlief sie noch nicht? Wieso tauchte sie hier auf? Auf einmal war er völlig klar, die Wirkung des Alkohols verflogen.
»Mein Gott, Martin, was ist los? Du bist ja kreidebleich … Ist was passiert?«, fragte sie.
»Nichts, nichts«, stotterte Martin.
Er wollte an Mona vorbei. Aus dem Salon waren Stimmenwirrwarr und Lachen zu hören.
»Wie nichts?«
»Ich habe etwas Wichtiges vergessen. Der Ausflug. Du weißt, die Puszta…«
»Ich weiß nichts, rede!«
»Was bist du so neugierig?«
»Beruhige dich, bitte. Du wolltest etwas sagen …«
»Ich soll mich beruhigen? Das sagst du mir? Du solltest mir was erzählen oder besser dein Maul halten und von hier verschwinden, du Hure! Ich weiß alles!«, brüllte er.
»Nichts weißt du. Sprich nicht so, und sei vor allem ruhig, du weckst die Leute auf! Setz dich einmal hierher.« Sie flüsterte.
Er folgte und bereute es selbst schon, geschrien zu haben. Mona setzte sich ihm gegenüber in den Polstersessel und wartete wortlos ab. Martin erkannte im Spiegelbild der Glasvitrine die ersten Anzeichen des Wahnsinns. Zunächst musste das Wichtigste gesagt werden:
»Mona, der Mann, mit dem du für Geld geschlafen hast, Clark Collis, ist tot. Jemand hat ihn umgebracht. Und du bist verdächtig. Du warst am Tatort, du wusstest, in was für einer Lage er war, und du hattest Zugang zu ihm…«
Als er es ausgesprochen hatte, fühlte er sich leichter. Er war sich dessen bewusst, dass er vielleicht Unsinn sprach, natürlich wollte er Mona nicht erniedrigen.
»Blödsinn. Ich war die ganze Zeit in der Wäscherei, nur jetzt bin ich kurz herausgegangen, eine rauchen und mich ein bisschen auslüften. Vier Kolleginnen bezeugen dir das. Und andere haben mich auch gesehen. Ich gebe zu, ich war einmal bei dem Menschen und habe ihm einen runtergeholt, weil ich das Geld brauche, das du mir genommen hast. Es war furchtbar, und ein zweites Mal würde ich es um nichts auf der Welt mehr machen. Er wollte mich küssen, das habe ich abgelehnt, er hat mich beschimpft und wollte
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