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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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aus, ein an die Tisa angrenzendes Gebiet. Die Schifffahrt erinnerte die Passagiere an eine Reise in die Urzeit, zu den Anfängen der Welt, als es auf der Erde einen Aufstand der Pflanzen gab und die Weltherrschaft von großen Bäumen übernommen wurde. Martin Roy stand auf seinem üblichen Platz neben dem Kapitän, das Mikrophon in der Hand, und beobachtete die sumpfigen Ufer, die Pferde, Autos und Wägen in kleinen Städten mit Namen wie Százhalombatta, Adony oder Szigetújfalu.
    Die Hitze hielt das gesamte Schiff umklammert. Das Wasser plätscherte, die Raben krächzten, und überall hörte man Grillen und Heuschrecken. Die breite und fruchtbare Ebene, eine grüne, wasserreiche Wüste, strahlte vor Licht. Aus den Wellen tauchte ab und zu ein Weißfisch auf, sprang hoch, schnappte nach einer Fliege und fiel wieder zurück in sein Element. In der Puszta nisteten viele Vögel: Auerhühner, Rotschwanzammern, Bachstelzen, Haubenlerchen, Birkenhühner. Zehn Kilometer hinter Csepel befand sich am rechten Ufer die Industriestadt Dunaujváros mit einem Hafen und danach Dunaföldvár mit seinem Burgturm und einer Brücke über die Donau. In Paks thronten die Kühltürme des einzigen ungarischen Atomkraftwerks über den Weizenfeldern.
    Der still gewordenen Mannschaft stand einer der längsten Abschnitte der gesamten Reise bevor. Sogar Tamás schwieg, viele Stunden lang ging er auf und ab, unermüdlich, ohne sich auch nur kurz hinzusetzen, als ob er dadurch den Lauf der Dinge umkehren könnte.
    Die Kellner bedienten die Amerikaner pflichtbewusst, sie holten Speisen und Getränke und schmeichelten ihnen, immerzu in der Hoffnung auf ein generöses Trinkgeld.
    Nach Absprache mit Tamás und Suang verkündete Martin die Öffnungszeiten der Bar. Das Mittagessen wurde am Oberdeck serviert. Innerhalb weniger Minuten brachten die Köche Töpfe, Schneidebretter, Gaskartuschen, Pfannen, Gemüse, Salz, frische Karpfen und Gewürze. Es dauerte nicht lange, und die Thailänder hantierten über dampfenden Töpfen. Die
Halászlé
unter freiem Himmel wurde begeistertaufgenommen, das Deck füllte sich. Die Gäste kämpften um die besten Plätze, um alles zu fotografieren.
    In südlicher Richtung fanden sich vermehrt Strände. Die Schwimmer taumelten mit viel Geschrei ins Wasser, freudiges Planschen überall, einer neben dem anderen, manche holten sogar weiße Boote mit Ruderern ein.
    Bald kamen wildere Ufer. Jenseits seines Flussbetts fächerte sich der Strom auf und glitt langsam durch sein Kiesbett. Bei der Stadt Baja unterquerte man die letzte Donaubrücke im ungarischen Abschnitt. Diese Brücke benutzte im Jahr 1921 ein Gefolge mit dem letzten ungarischen König, dem Habsburger Karl IV. von Ungarn, der hier zum letzten Mal einen Blick über sein Land schweifen ließ, bevor er auf die Insel Madeira flüchtete, wo er ein Jahr später starb.
    Die Donau floss jetzt sogar kurz südwestlich. Ihre Gewässer wälzten sich träge in eine ungewisse Zukunft. Sie hatte nunmehr ein niedriges Gefälle, war ohne bedeutende Zuflüsse, doch mit vielen Seitenarmen ausgestattet, insbesondere am rechten Ufer. Um fünf Uhr nachmittags begann Atanasiu das Anlegemanöver bei Flusskilometer 1447, in der ungarischen Grenzstadt Mohács. Sowohl das Schiff als auch Reisende und Crew mussten sich einer gründlichen Zoll- und Passkontrolle unterziehen. Schließlich verließ die
America
die Europäische Union in Richtung Balkan.
    »Wem noch ein paar Forint übrig geblieben sind, der kann sie als Souvenir aufheben, denn dort, wo wir morgen aussteigen, wird mit einer anderen Währung bezahlt«, informierte Martin.
    »Was? Ich habe noch gut dreitausend Ungargeld, was mache ich zu Hause damit?«, ärgerte sich William Webster.
    »Wenn Sie einmal hierher zurückkommen, können Sie sich dafür einen Hamburger kaufen, mein Herr«, antwortete Martin.
    Im Salon machte er die Karaokeanlage an, die mit einem Großflächenbildschirm versehen war. Die Amerikaner sangen schon kurz darauf »Autumn in New York«, »I’ve Got You Under My Skin« oder »What Is This Thing Called Love«. Martin und Atanasiu kauften sichin der Zwischenzeit von den unverschämten, ungarischen und kroatischen Zöllnern frei, ohne Bestechung lief hier gar nichts. Diesmal waren sie zu neunt aufmarschiert, und neben einer dreisten Summe forderten sie sich einen Haufen Feinkost und drei Flaschen Wein.
    Die Aktion dauerte eineinhalb Stunden, ungefähr so lange wie vor fast 500 Jahren die berühmte Schlacht in

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