Tod auf der Donau
gesenkt wurde. Unter den Amerikanern brach beim Aussteigen Panik aus, sie rannten aufs Schiff wie in einen Bunker und ließen sich von Martin kaum beruhigen.
»Ich weiß, dass sie uns hassen«, flüsterte Catherine.
Fünfzehn Minuten später lag Vukovar hinter ihnen, und nichts mehr deutete darauf hin, dass das Schiff ein ehemaliges Kriegsgebiet passierte. Nur beim aufmerksamen Hinschauen mit dem Fernstecher sah Martin, dass auf den Feldern immer noch Schilder mit Totenschädeln standen – »Warnung! Minenfelder!« Er wollte die Passagiere allerdings nicht noch mehr beunruhigen; als kleine Entschädigung bot er einem jedem ein Cinzano-Orange auf Kosten des Hauses an; das Angebot wurde freundlich angenommen und die Unzufriedenheit durchwegs gedämpft.
Unter Iloka, bei Kilometer 1296, verließ die Donau Kroatien und floss durch serbisches Gebiet.
Eine Stunde später, es dämmerte bereits, erreichte das Schiff Novi Sad, den Sitz der autonomen Region Wojwodina. Über der Stadt ragte die massive Festung Petrovaradin gen Himmel, vormals die wichtigste Basis der habsburgischen Truppen am unteren Flusslauf. Die amerikanischen Angriffe hatten alle Brücken in Novi Sad zerstört, doch davon durfte Martin nicht berichten. Gegen diese Luftangriffe hatten nicht einmal menschliche Schutzschilder geholfen, deren Aufstellung von serbischen Parteibonzen befohlen worden war. Doch heute wölbten sich die Brücken wieder in voller Pracht, die
America
fuhr unter ihnen hindurch und weiter in südöstlicher Richtung, einsam und allein im immer breiteren Strom.
Die Hauptstadt Belgrad liegt am rechten Ufer, gleich nach einer engen Biegung bei Flusskilometer 1170. Keine andere Stadt an derDonau wurde so oft zerstört und danach wieder aufgebaut wie Belgrad. Die Donau war für Belgrad und ganz Serbien eine wahre Lebensader gewesen: Barock, Aufklärung, Sauerkraut und Psychoanalyse. Der Fluss streift die Stadt lediglich am Rande und schöpft aus einem Zufluss neues Wasser. Vom Zentrum aus erreicht man die Donau nur beschwerlich, zu Fuß jedenfalls, zur Save, kommt man wesentlich schneller.
Die Stadt wird von einer monströsen Kathedrale des heiligen Sawa beherrscht, an der seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts stetig gebaut wird. Bisher freuten sich die Amerikaner über jeden Kirchenbesuch, doch hier waren sie ängstlich, wagten nur einen kurzen Blick hinein und zogen sich zurück. Sie zeigten sich von den ausgebombten Gebäuden des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs an der Nemanjina-Straße überaus verschreckt. Offiziell wurde nie verlautbart, warum man sie hatte stehen lassen, man hatte nicht vor, sie zu renovieren, allerdings auch nicht, sie abzureißen.
An der zentralen Kňaz-Mihail-Straße drängten sich Boutiquen, Kaffeehäuser und Restaurants aneinander. Martin versuchte die ganze Zeit, Taschendiebe von seinen Touristen fernzuhalten. Die Fußgängermassen drängten sich an Straßenmusikern vorbei, in der Luft lag ein Geruch von
Pljeskavica
, Gewürzen und verschwitzten Körpern. Bettler mit krummen Rücken warfen den Touristen traurige Blicke zu. Die Luft flirrte über dem langsam vor sich hinschmelzenden Asphalt, der sogar an Schuhsohlen kleben blieb. Unzählige freilaufende Hunde wuselten zwischen den Füßen der Spaziergänger herum; die Belgrader hatten für ihre Haustiere während der Luftangriffe kein Futter mehr gehabt, also waren sie einfach vor die Tür gesetzt worden.
Das Mittagsläuten war schließlich das Zeichen, um mit der Besichtigung zu Ende zu kommen. Diese Tradition stammte von Papst Calixtus III., abgehalten zu Ehren des Sieges über die Türken im Jahre 1456; er hatte diesen Sieg für ein Wunder erklärt. Die christliche Welt hatte sich kaum vom Schock über den Fall Konstantinopels erholt,schon waren die Türken erneut in Europa eingedrungen und belagerten Belgrad. Die Armee der Kreuzritter hatte das osmanische Heer (unter der Führung des Sultans) tatsächlich in alle Winde zerstreut. Seit damals läuteten die Mittagsglocken alle Gläubigen auf der ganzen Welt zusammen, um dieser Tatsache zu gedenken.
»Unser Rundgang war kurz gehalten, weil ich für Sie am Nachmittag eine exzellente Überraschung vorbereitet habe. Um halb zwei treffen wir uns vor dem Schiff. Kommen Sie alle, lassen Sie sich das nicht entgehen!«, erklärte Martin.
Um ein Uhr hielt Titos berühmter blauer Zug vor dem Schiff. Die meiste Zeit des Jahres war dieser im Depot des Belgrader Vororts Rakovica abgestellt.
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