Tod auf der Donau
Beton hielten dem Druck des Wassers stand, das hier 60 Meter tief war. Vor einem Jahrhundert stürzten hier noch mächtige Wasserfälle in die Tiefe. Nach seiner Fertigstellung 1972 war der Derdap der größte Stausee in Europa. Die Ufer rund um den See waren gähnend leer. Über dem Schiff wanden sich lange Stromdrähte von Mast zu Mast. Das Passieren der Schleusenzog sich zwei volle Stunden hin. Martin zwängte sich zwischen Transformatoren, Trägern und Stahlzäunen durch und erklärte die Funktionsweise, was immerhin die männlichen Fahrgäste interessierte. Am Ufer saßen ein paar uniformierte Serben mit ausgestreckten Beinen; sie gaben den Amerikanern unmissverständlich zu verstehen, dass sie hier nicht willkommen waren. Sie kündigten an, die Dokumente zu prüfen und das Schiff zu durchsuchen, und gaben so lange keine Ruhe, bis sie ein ordentliches Bestechungsgeld kassiert hatten. Auch Dragan gab den Zöllnern ihren Anteil, damit sie bloß nicht auf die Idee kamen, in seiner Kajüte nachzusehen.
Das serbische Kladovo lag rechts, und links erstreckte sich die rumänische Stadt Drobeta Turnu Severin, berühmt für ihre antiken Denkmäler. An dieser Stelle stand einst die älteste Donaubrücke, im Jahr 105 von Kaiser Trajan erbaut, um die Provinz Dakien in das Römische Reich einzugliedern. Mit dem Entwurf und dem Bau beauftragte er den Architekten Apolodor aus Damaskus. Ein Jahr später überquerte Trajan mit seinen Truppen diese Brücke und massakrierte die Dakier. Die Brücke hatte 20 Pfeiler und war über 100 Meter hoch, sie wurde jedoch noch unter Hadrian zerstört; heute erkennt man lediglich kümmerliche Überreste. Bis 1918 markierte dieser Abschnitt die Grenze Österreich-Ungarns. Bis hier trug die Donau auch die Bezeichnung k. u. k., kaiserlich und königlich; man nannte sie sogar »zweiter Kreislauf der Monarchie«. Am »Eisernen Tor« musste Martin unwillkürlich an Imrich Lichtenfeld denken.
Am Morgen des 18. Mai 1940 ankerte im Bratislaver Hafen ein unbekanntes Dampfschiff und bereitete sich auf eine der längsten Donaureisen in der Geschichte der Neuzeit vor. Schon auf den ersten Blick war klar, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Schiff handelte. Es stach durch seine ärmlichen Aufbauten und das eckige Kapitänshaus hervor. Durch die verschmutzten Fensterscheiben war nichts zu erkennen. Das verbeulte Blech war mit einer billigen weißen Farbe gestrichen worden, die allerdings schon wieder abblätterte. Die Aufschriftwar offensichtlich übermalt, jemand hatte den Schiffsnamen kurzum auf
Pentcho
geändert. Der Schornstein neigte sich verdächtig schief, als ob er jeden Augenblick zusammenbrechen würde. Sobald der Kapitän das Seitenrad in Betrieb setzte, ratterte es.
Der alte Schlepper diente bisher nur zum Transport kleinerer Frachtboote, doch jetzt – obwohl er ganze 50 Meter maß – überstieg die Anzahl der Einsteigenden bei weitem die erlaubte Kapazität. Unter den Menschen herrschte eine strenge, nahezu militärische Ordnung, doch je näher man dem Schiff kam, desto stärker erkannte man ihre Gefühle. Frauen, alt wie jung, jammerten leise und weinten vor sich hin. Ihre Gesichter waren fahl und grau – nach einem Tag der schnellen Abschiede und Trennungen, es war ungewiss, für wie lange. Verstörte Menschen mit Rucksäcken und Lederkoffern in der Hand, sie schauten sich pausenlos um, als ob sie verfolgt würden. Und tatsächlich, am Ufer standen Soldaten und beaufsichtigten streng, ja beinahe schon hasserfüllt, das Geschehen, fast so, als hätten sie gefährliche Sträflinge vor sich. Der Status der Ankömmlinge glich wohl wirklich jenem von Häftlingen, mit dem Unterschied, dass sich diese Menschen hier nichts zuschulden hatten kommen lassen, sie hatten lediglich eine falsche Herkunft. In die
Pentcho
stiegen vornehmlich Juden aus vielen verschiedenen Ecken der Slowakei, vor allem jedoch aus Bratislava.
In den Gesichtern der jungen slowakischen Soldaten spiegelten sich Verachtung und Freude wieder, dass sie diese, wie sie meinten, minderwertigen Bürger endlich loswurden. Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Gardisten einem Mann, der Imrich Lichtenfeld hieß, denn diesen kannten sie nur zu gut. Sie hatten Gelegenheit gehabt, seine Fäuste kennenzulernen. Über Lichtenfelds Ausreise freuten sie sich außerordentlich. Am liebsten hätten sie ihn längst eingesperrt oder gar hingerichtet, sie konnten ihm jedoch nie etwas anhängen.
Der robuste Mann sah die Ordnungstruppe an
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