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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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In keiner anderen Stadt führten die Gleise so nah an den Hafen heran, was für die ADC eine große Chance bedeutete. Martin erwartete die Passagiere in der militärischen Präsidentenuniform, mit Orden behangen, samt weißen Handschuhen und einer Kappe mit rotem Stern. Mona zog unterdessen eine serbische Tracht an. Sie streifte sich Strümpfe über. Die Strumpfbänder gruben sich in ihre weichen Schenkel. Als er neben ihr zu stehen kam, beschleunigte dies seinen Puls. Sie sah ihn prüfend an. Als sie sich fertig herausgeputzt hatte, übte sie mit Lariana ein paar einfache Tanzschritte ein.
    Die ersten Passagiere kamen. Martin legte eine CD mit serbischen Gassenhauern ein. Das Einsteigen über die hohen Stufen dauerte ziemlich lange, doch schließlich waren alle in den Wägen und nahmen Platz. Suang und sein Team servierten im Speisewagen Cevapcici, Pljeskavica und Burek mit Fleisch- oder Spinatfüllung. Ausgeschenkt wurde helles serbisches Bier, etwas Weiß- und Rotwein. Der Zug fuhr gemächlich los.
    »In den vierzig Jahren seiner Herrschaft legte Tito mit seinem blauen Zug 600.000 Kilometer zurück; hierbei nahm er mehr als 60 Politiker aus der ganzen Welt mit. Er bewirtete hier den Palästinenserführer Yassir Arafat, den sowjetischen Präsidenten Leonid Breschnew, den indischen Premierminister Nehru. Er selbst fuhr viele Male kreuz und quer durch ganz Jugoslawien und propagierte überallseine Auffassung des marktkonformen Sozialismus. Diese einmalige Zuggarnitur wurde 1947 in Jugoslawien gefertigt und gehörte zu den luxuriösesten der ganzen Welt. Die heutige, neuere Version stammt aus dem Jahr 1972, als auch die britische Königin Elisabeth zwei Tage lang mit diesem Zug unterwegs war.«
    Die Amerikaner freuten sich, denn sie hatten ganz offensichtlich genug von all den Erzählungen über Kriege, an denen die Vereinigten Staaten beteiligt gewesen waren. Dann drängten sie sich in den Gängen und bewunderten die kostbaren Teppiche, die Jugendstilmöbel und Lampen, das Bleiglas, die seltenen Fotos, Schlafzimmer, Esszimmer, die Küche und die Toiletten. Neben einem braunen Ledersofa stand ein Glastisch mit einem schweren kristallenen Aschenbecher. Fast alles war – wie durch ein Wunder – erhalten geblieben, und was mit der Zeit gelitten hatte, war sorgfältig restauriert worden. Gott sei Dank sah niemand aus dem Fenster. Sie durchquerten gerade die Gegend nahe der Brücke von Novi Beograd und dem Zentrum, darunter lag Gazela, das verrufenste Viertel der ganzen Metropole. In den Hütten lebten vor allem Roma. Das Ghetto wuchs mit enormer Geschwindigkeit weiter.
    Der Zug passierte Plattenbauten, inmitten einer Asphaltwüste – ein wahr gewordener Traum sozialistischer Architektur. Martin fühlte sich in Novi Beograd wohl, ihn erinnerte es an Petržalka – und seinen herben Charme. Zwischen all dem Beton fand man allerdings auch Nischen mit kleinen Hütten und einen Flohmarkt.
    Mona und Lariana begrüßten den Genossen Dejan Petrovic mit einem Tänzchen und übergaben ihm einen Strauß roter Rosen und Nelken, die Präsident Tito doch so geliebt hatte. Martin küsste den Mann, der in einfacher Eisenbahneruniform gekleidet war, in sozialistischer Manier auf beide Wangen. Der alte Herr hieß in Wirklichkeit Bojan Hrabjanovic. Martin hatte ihn vor einem Jahr gefragt, ob er sich zu seiner miserablen Pension (von 80 Euro) nicht etwas dazu verdienen wolle; er solle einfach den Touristen gegenüber behaupten, der Leibkoch von Josip Tito gewesen zu sein. Er antwortete sofort: »
Nema problema

    Der schon etwas altersschwache Mann brachte alles durcheinander, doch die Amerikaner verstanden ihn sowieso nicht. Martin konnte dolmetschen, was er gerade brauchte – ein Kinderspiel im Vergleich zu jener Situation, als er hatte vorgeben müssen, selbst der Urenkel von Gustav Mahler zu sein.
    »Ich heiße Dejan Petrovic. In Titos Zug habe ich die letzten fünf Jahre gearbeitet, als die Karriere unseres glorreichen Präsidenten langsam zu Ende ging. Es war eine große Ehre für mich«, behauptete Martin, während sich der wirre Alte darüber beschwerte, dass in Serbien alles teurer wurde.
    »Mein geliebter Chef ist am 4. Mai 1980 verstorben, und diesen Tag werde ich, so wie auch jene davor und danach, niemals vergessen. Den Leichnam haben wir mit diesem Blauen Zug von Ljubljana bis nach Belgrad gebracht, in jedem Ort haben uns Tausende weinende Menschen begrüßt. Die Bürger haben sich bei ihrem geliebten Führer zum letzten

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