Tod auf der Donau
Mal bedankt – er hat es schließlich geschafft, Stalin die Stirn zu bieten und Jugoslawien zu retten. Auf jeder Bahnstation, selbst der allerkleinsten, hingen seine Porträts, und die Menschen drückten seine Konterfeis an ihre Brust. Für Präsident Tito zu arbeiten war das schönste Ereignis meines Lebens. Nach jedem Mittagessen ist er zu uns in die Küche gekommen, hat den Köchen gedankt und ausdrücklich das Essen gelobt. Er hat sich in der Gastronomie ausgekannt wie kaum ein anderer.«
Die Amerikanerinnen weinten. Bojan Hrabjanovic bettelte unterdessen um ein höheres Honorar, doch es wurde als allertiefste Trauerbekundung gegenüber seinem geliebten Präsidenten übersetzt. Martin erzählte längst wieder etwas ganz anderes:
»Tito hat Jugoslawien geeint, vom Ende des Zweiten Weltkrieges an bis zu seinem Tod. Er frönte zwar dem Luxus, was ihm auch viele vorhielten, doch gleichzeitig sorgte er dafür, dass sich der Lebensstandard verbesserte, er ließ den Menschen Freiheiten und unterhielt gute Beziehungen zu Ost und West. Nach seinem Tod zerfiel die Föderation, und ein blutiger Bürgerkrieg brach aus.«
Ergriffen hörten die Amerikaner seinen Ausführungen zu.
Der Blaue Zug kehrte langsam zum Schiff zurück. Der Lokführer bremste alsbald im Hafen. Martin sah erneut die Donau, so groß wie ein Meer.
Bojan Hrabjanovic bekam für seine Erzählung ein astronomisches Trinkgeld und weinte vor Glück. Das Händeschütteln und gegenseitige Umarmen nahm kein Ende. Beim Ausstieg reichte Mona einem jedem zusätzlich noch ein Gläschen mit billigem Raki.
Die Amerikaner wurden auf dem Pier sofort von einer Horde aggressiver Bettler umringt. Martin hatte alle Hände voll zu tun, damit diese sie nicht ausraubten. Die Uniform half durchaus.
»Wir sind zu Ehren des Präsidenten Tito hier, und wie benehmt ihr euch!? Hier ist sein persönlicher Koch, Dejan Petrovic, und ihr macht einen solchen Unsinn!«
Manche erschraken und liefen davon. Doch nicht alle ließen sich so leicht abwimmeln.
»Nehmt doch mich als Tito!«, rief einer.
»Ich mach es um die Hälfte!«, ein anderer.
»Ruhe, bitte, wir haben schon einen Koch und sind zufrieden mit ihm; wir brauchen keinen zweiten, wirklich nicht!«, gab Martin zurück und räumte lieber das Feld.
»Titos kann es doch nie genug geben. Was, wenn einer mal krank wird?«, rief ihm einer nach.
Auf den Wellen schaukelten haufenweise Hausboote, auch »Splavovi« genannt, die sich schon in zwei Stunden in Restaurants oder Nachtklubs verwandeln würden. Aufgelassene Dampfboote wie etwa die
JRB Srbija
wurden von mehreren Familien bewohnt.
Auf dem Schiff ratterte die Ankerwinde. Aus dem Wasser schlängelte sich langsam die Kette mit dem Anker, fest umschlungen von Wasserpflanzen.
Die von der Hitze zermürbte Mannschaft lief über das siedend heiße Deck und machte die Taue los. Die
America
sollte gleich ablegen, und Martin hatte erneut das Gefühl, dass sich ein Teil von ihm ablöste und irgendwohin aufstieg. Ein solches Gefühl mussten wohl die Reisenden auf der Arche verspürt haben, als diese vom Wasser emporgehoben wurde.
22. NAHKAMPF
Der längste, mehr als 1000 Kilometer lange Teil der Donau, gehört zu Rumänien. Der untere Flusslauf wirkte majestätischer, floss nunmehr fast geradeaus, und man konnte im oder am Fluss alles erkennen, was irgendwo in Europa ins Wasser gefallen war. Die Ufer waren von Urwäldern gesäumt. Nach jeder Biegung wurde das Tal breiter. Das Süßwasser war voller Wracks, denn in der Vergangenheit waren hier unzählige Schiffe gekentert. Steile Felswände ragten in die Höhe und hielten den Strom fest umklammert.
Römische Legionen hatten Wege entlang des Stromes angelegt, um den Schiffen das Überwinden der Strömung zu erleichtern. Die Waren wurden mühsam über die Hügel getragen, und die leeren Boote von Menschenhand, später mit Hilfe von Dampfmaschinen, an langen Seilen gegen den Strom geschleppt. Eine Straße wurde erst nach der Errichtung des Staudammes gebaut.
Neben dem rumänischen Städtchen Orsova lag eine überschwemmte Donauinsel unter Wasser, Ada-Kale, wo sich seinerzeit Schmuggler und Piraten versammelt hatten, um Lieferungen von Bernstein, orientalischem Schmuck, Parfüm, Tabak, Südfrüchten und Waffen auszuhandeln. Sogar Jules Verne erwähnte die Insel in seinem Roman
Der Pilot von der Donau
, den Martin übersetzt hatte.
Die Katarakte endeten an einer Staumauer namens »Eisernes Tor« bei Flusskilometer 943. Tonnen von
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