Tod auf der Fähre (German Edition)
wieder unter Verfolgungswahn, Angstzuständen und Depressionen.»
«Wie äusserte sich das?»
«Er fühlte sich von Freunden, Künstlern, Galeristen, schlicht von der ganzen Welt verfolgt. Und er hatte grosse Angst zu versagen. Nach einigen Ruhetagen war er ein anderer Mensch.»
«Interessant. War Frank Brehm öfters hier?»
«Etwa alle drei Jahre. Er hat sich für Anfang August bei uns eingeschrieben. Den Termin wird er wohl nicht mehr einhalten können.»
«Sie sagen es. Das ist wirklich interessant. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Mordfall Brehm unterhielt ich mich mit seinem Assistenten, Herbert Kuhn.»
«… und seine Frau, pardon, seine Freundin Isabelle Piatti ist bei mir in Behandlung.»
«So ist es. Ich sage es Ihnen ganz offen, ich bin nicht hier, um im Fall Brehm zu ermitteln. Ich bin privat hier. Der Junge tut mir Leid, er ist ein Häufchen Elend und ich hoffe, ihm mit meinem Besuch hier irgendwie helfen zu können. Aber ich habe keine Ahnung, wie. Klingt verrückt, nicht?»
«Nicht verrückter als das, was ich sonst den ganzen Tag über höre. Es ist höchstens erstaunlich, dass sich ein hart gesottener Kommissär für zwei Liebende einsetzt.»
«Ich bin gar nicht hart gesotten.»
«Das war ein Scherz, Herr Ferrari. Nein, wirklich, es kommt selten vor, dass sich heutzutage jemand um seine Mitmenschen kümmert. Und es freut mich, dass es noch solche Menschen gibt. Ich trage gerne auch meinen Teil dazu bei. Nur, ehrlich gesagt, ich komme mit Isabelle auch nicht weiter.»
«Weshalb wurde sie eingeliefert?»
«Sie schluckte vor exakt zwei Wochen, an einem Freitag, eine Überdosis Schlaftabletten. Nachdem sie eine Verabredung mit ihrer Mutter nicht einhielt, und das ist etwa so, als wenn es im Juni schneien würde, wurde sie von ihr im Bett gefunden. Wir haben ihr den Magen ausgepumpt und sie auf der Beobachtungsstation in einem Einzelzimmer untergebracht.»
«Haben Sie nur Einzelzimmer?»
«Nein, aber in diesem speziellen Fall hat mich Olivia, ich meine Frau Vischer, darum gebeten.»
Da war sie wieder, die Familie Vischer. Ihr langer Arm reichte bis in die Irrenanstalt.
«Und wann wird sie entlassen?»
«Sie wäre schon längst wieder draussen. Sie will nicht. Nichts und niemand kann sie dazu bewegen. Das ist die Knacknuss. Isabelle fühlt sich hier wohl und geborgen, sie stellt sich auf ein Leben bei uns ein. Das ist vermutlich das Verrückteste an der ganzen Sache.»
«Hat sie Ihnen erklärt, weshalb sie die Tabletten geschluckt hat?»
«Wir führten einige intensive therapeutische Gespräche, auf die ich als Vertrauensarzt von Frau Piatti nicht näher eingehen möchte. Sie ist sehr intelligent und äusserst sensibel. Sie nimmt sich alles zu Herzen und frisst die Probleme in sich hinein. Sie glaubt an das Gute im Menschen. Auch wenn sie von jemandem verletzt wird. Sogar wenn sie jemand physisch oder psychisch misshandeln würde, könnte sie diesem Menschen nicht böse sein. Sie würde in erster Linie den Fehler bei sich suchen. Um es überspitzt zu formulieren, schlagen Sie Isabelle ins Gesicht, dann denkt sie darüber nach, wie sie Sie zu dieser Tat provoziert hat.»
«Geradezu biblisch, sie hält den Mitmenschen die andere Wange hin.»
«Mir wäre es lieber, sie würde sich ab und zu alttestamentarisch verhalten, Auge um Auge, Zahn um Zahn.»
«Und was gab Ihrer Meinung nach den Ausschlag, der zum Selbstmordversuch führte?»
«Ein emotionaler Schock. Ein Erlebnis, das sie nicht verarbeiten konnte. Das über ihre Kräfte hinausging.»
«Aber sie spricht nicht mit Ihnen darüber.»
«Nicht mit mir, nicht mit ihrem Freund und auch nicht mit ihrer Mutter. Wenn Sie wollen, können wir sie kurz besuchen. Sie macht gerade einen Spaziergang im Park. Ich stelle Sie als Freund vor. Wie heissen Sie mit Vornamen?»
«Francesco.»
«Ich bitte Sie aber, kein ernsthaftes Gespräch zu führen, vor allem nicht über Frank Brehms Tod oder den Zustand von Herbert Kuhn. Das könnte negativen Einfluss auf meine Therapie haben. Ein Rückschlag wäre nicht auszuschliessen.»
«Sie können sich auf mich verlassen.»
Isabelle Piatti sass auf einer Bank. Sie trug Jeans, ein weisses Shirt und winkte dem Professor lächelnd zu.
«Hallo, Professor, schön Sie noch einmal zu sehen.»
«Hallo, Isabelle, ich hoffe, dass Sie es verschmerzen werden, mich drei Wochen nicht mehr zu sehen. Aber auch ein Arzt muss mal in Urlaub fahren. Darf ich Ihnen meinen Freund Francesco Ferrari vorstellen? Er kam
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