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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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vier größer werdenden, konzentrisch angeordneten und gegeneinander zu
verschiebenden Scheiben, die in einzelne Segmente unterteilt waren, ordnete der Investigator seine Informationen.
    Auf der ersten, der mittleren, befand sich sozusagen der tote Samuel Thompson. Um diesen Mittelpunkt angeordnet die Segmente der zweiten Scheibe: die unmittelbaren Umstände, das Verhalten des Toten laut Zeugenaussagen, aber auch einzelne Indizien wie die Brille, der Strick, der Knoten …
    Auf der dritten Scheibe die notwendigen Eigenschaften des oder der Täter; auf der vierten und äußersten die möglichen Motive. Diese äußeren Segmente – und das war sein größtes Problem – waren noch leer, bis auf ein Faktum: Man wollte die Leiche offenbar nicht verschwinden lassen, im Gegenteil. Jeder sollte sie sehen. War das eine Warnung? Eine Demonstration? Gab es Mitwisser?
    Er ließ die Scheiben rotieren: wie, wer, warum? Das dynamische Gedächtnissystem der Ars Combinatoria bot die Möglichkeit, noch die unwahrscheinlichsten, entferntesten, gegensätzlichsten Informationen in eine logische Folge zu bringen und daraus schließlich, nach den ockhamschen Gesetzen der Summa Logicae , Urteile, Schlussfolgerungen zu destillieren, mit denen er die eine Möglichkeit verwarf, die andere weiterverfolgte, aber niemals eine vergaß. Leider gab es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu viele Leerstellen auf seinen rotierenden Gedächtnisscheiben, um statt des Toten einen Verdächtigen in den Mittelpunkt zu stellen. Hier konnte er nur ausschließen. Die wenigen bessergestellten Auswanderer etwa, die in New York von Bord gegangen waren. Wer von denen hätte den Seemannsknoten knüpfen können?
    Und beim Gedanken an die Auswanderer vergaß er plötzlich den Mord und bekam die Erleuchtung; ja, er hätte sich an die Stirn schlagen mögen. Mussten da nicht einige Kojen frei geworden sein?

30.
    Zu den fernsten Erinnerungen des Jungen gehörte der schrille Schrei der Dampfpfeife. Er konnte später nicht einmal den Pfiff einer Lokomotive oder auch nur eines Wasserkessels hören, ohne darauf zu warten, wie dieser Ton von den Glocken im Tal aufgenommen wurde, wie Dutzende, manchmal Hunderte Frauen aus den Häusern stürzten und in stiller, unheimlicher Eile den Schächten zu.
    Schlag. Bruch. Wasser. Ein überhörtes Sprengsignal. Ein durchgegangener Hund, der durch eine Gefällstrecke raste. Die Möglichkeiten, im Berg zu Tode zu kommen, waren zahlreich, und keine war friedlich. Die Dampfpfeife zeigte allerdings stets eine Katastrophe an. Unter acht, neun Toten setzte man sie selten in Gang, schließlich kostete jeder Alarm Geld.
    Die Förderung wurde gestoppt. Wer noch konnte, fuhr aus, ganz egal, wie sinnvoll das war. Die Leute wollten dann nur aus dem Berg, auch wenn das Unglück vielleicht zweihundert Meter unter ihnen stattgefunden hatte. Andere liefen zu Hilfe und Rettung herbei; dafür wurde zwar niemand bezahlt, aber viel sinnvolle Arbeit im Stich gelassen. Manchmal, wenn noch Hoffnung für Verschüttete bestand oder man sogar gehört hatte, wie sie im Berg schrien, klopften, rumorten, wurde auch Bohrgerät aus anderen Schächten herbeigeschafft  – und das kostete dann wirklich das Geld der Grubenherren.
    John war schon öfter bei solchen Rettungsversuchen dabei gewesen. Aber weil es am Tyne meist schlagende Wetter waren, förderte er dabei selten etwas anderes als ineinander verklammerte Leichen zutage. Zerrissene, vom Gestein Erschlagene aus den betroffenen Flözen. Erstickte aus der Umgebung. Er
hatte es Jane erklärt: Manchmal zog der Schlag die Luft auch aus Stollen, die ansonsten gar keinen Schaden nahmen, und die Leute vor Ort erstickten, ohne überhaupt zu wissen, was mit ihnen geschah.
    John erzählte ihr überhaupt viel von seiner Arbeit. Lachte aber auch, als sie mit stolz leuchtenden Augen fragte, ob es wahr sei, was alle sagten: dass er tiefer in der Erde gewesen wäre als je ein Mann vor ihm? Und er erzählte ihr, was er von Ingenieur Nelson wusste: dass es irgendwo in Tirol eine Erzgrube mit siebzehn Sohlen gab. Schon lange nicht mehr befahren, zum Teil eingefallen, nannte das Volk sie den Geisterschacht, weil sie einst, als Heinrich VIII. noch am Leben und die Welt eine ganz andere gewesen war, dem Heiligen Geist geweiht wurde.
    Franzosen, Ingenieure Napoleons, waren vor dreißig Jahren hinabgestiegen. Ihre Lotleinen zeigten achthundertsechsundachtzig Meter an, und ganz unten, an den grauen Knochen der Erde, habe ein toter

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