Tod auf der Piste
begünstigt sein, es wird Gewinner und Verlierer geben.«
»Genau daraus leitet sich ja auch das Hauptargument der Ausbaugegner ab: Garmisch liegt bloß auf gut siebenhundert Meter, also zu niedrig für eine gute Prognose, oder?«, fragte Irmi.
»Stimmt auch nur bedingt. Drüben am Hocheck in Oberaudorf übernahm vor einigen Jahren eine neue Gesellschaft einen altersschwachen Einersessellift. Einhundertvierzig Gesellschafter beschlossen zu investieren – bei einer Ausgangslage von fünfhundert Metern. Oberaudorf hat ein spezielles Mikroklima, damit ist der Hang schneesicher. Solche kleinräumigen Phänomene werden in Zukunft eine große Rolle spielen.«
»Aber das klingt ja gerade so, als würden Sie gegen Ihre eigenen Leute argumentieren, Ihre Sache verraten, Herr Dr. Jochum!« Irmi versuchte, ihn aus der Reserve zu locken, aber es gelang nicht.
»Nein, ich bemühe mich nur um Objektivität. Ich bin Wissenschaftler. Ich bin nach wie vor gegen diese WM, aber ich mache mich doch unglaubwürdig, wenn ich nur polemisiere.«
»Und darüber sind Sie mit Ernst Buchwieser aneinandergeraten?«, fragte Irmi.
»Ja, weil er dann auch noch falsche Zahlen genannt hat. Er hat gegen Beschneiung gewettert und den Kronplatz in Südtirol als absolutes Negativbeispiel in den Alpen dargestellt. Aber seine Zahlen stimmten nicht, er hat beispielsweise beim Stromverbrauch eine Null zu viel angehängt.« Jochum griff nach einem Papier und las vor: »Der Kronplatz erzeugt im Winter durchschnittlich 1124365 Kubikmeter Schnee. Der Stromverbrauch entspricht dem eines 1000-Betten-Hotels oder dem von zehn Hallenbädern.« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Das stimmt aber nicht. Der Stromverbrauch entspricht dem eines 100-Betten-Hotels und ist niedriger als bei einem Hallenbad. Meist wird Nachtstrom verwendet.«
»Ernst Buchwieser unterlaufen solche Fehler?« Irmi sah Jochum interessiert an.
»Bewusst oder unbewusst. Wir mussten uns beim Betreiber des Kronplatzes entschuldigen. Wo immer Ernst auftrat, schlug er gewaltige Wellen.«
»Ich kann dem Skifahren eh nichts abgewinnen. Für mich dürfte es den ganzen Winter schnee- und frostfrei bleiben. Ich verstehe aber, dass der Tourismus ein wichtiger Faktor ist und dieses Rumgerutsche auf Schnee wohl dazugehört.«
»Das zweifeln wir ja auch nicht an. Wir haben derzeit mehr Probleme mit den Skitourengehern, die beispielsweise wichtige Rückzugsgebiete des Auerhahns gefährden. Mich interessieren die paar Schneekanonen nicht. Wahrscheinlich erfinden die Maschinenbauer bald Schneekanonen, die bei dreißig Grad plus schneien können, nur ist das nicht bezahlbar. Das können dann die Scheichs installieren. Was mich beunruhigt, sind größere Probleme.«
»Also doch der Klimawandel?«
»Unter der Permafrostdecke Sibiriens ist so viel Methangas eingeschlossen, dass mir das Angst macht. Wenn der Permafrostboden auftaut, treibt das Methan die Erwärmung mit einer ungeheuren Geschwindigkeit voran. Das wird dann das wahre Treibhausgas werden. Kohlendioxid ist Kasperletheater dagegen! Wir sollten mal über unseren mitteleuropäischen Tellerrand hinaussehen. Unsere Aufgaben liegen auf globaler Ebene! Wenn anderswo klimabedingte Hungersnöte zu Bürgerkriegen und Völkerwanderungen führen werden, dann haben wir andere Probleme als die Frage, ob wir noch nett und entspannt in den Alpen Ski fahren können und ob in Garmisch jemals eine Ski-WM stattgefunden hat.«
»Sie meinen, die Menschen reagieren erst, wenn sie selbst betroffen sind? Solange der Treck der Hungernden Afrika nicht verlässt, ist es ihnen egal?« Irmi entwickelte einen gewissen Gefallen an dem Gespräch. Jochum war zwar komplett humorfrei, aber dennoch ein interessanter und engagierter Mann mit Klarsicht.
»Genau. Aber auch ohne Völkerwanderungen werden wir Probleme bekommen. Sollte es im Durchschnitt nur zwei Grad wärmer werden, werden 2030 die Gletscher um die Hälfte abgeschmolzen sein. Eine Flutwelle ist zwar nicht zu befürchten, aber das Gletscherwasser ist lebensnotwendig für viele Alpentäler. Wenn es gar keine Gletscher mehr gibt und womöglich zugleich der Niederschlag abnimmt, könnte es zu tiefgreifenden Wasserproblemen kommen. Darum geht es, nicht um ein paar Schneekanonen auf der Kandahar!«
»Und da waren Sie mit Ernst Buchwieser uneins? Er war doch ein Visionär. Gerade er hätte doch in die Zukunft sehen müssen.«
»Hat er auch. Aber er hat die Gegenwart ungebührlich überbewertet. Er hat Fakten zu seinen
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