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Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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eine Zunahme an Wetterextremsituationen wie markantem Hochwasser. Geht man aber bis ins vorletzte Jahrhundert zurück, ist auch da eine Phase von Hochwasserhäufungen zu beobachten«, sagte Jochum. Jeder seiner Sätze klang wie aus einem Fachbuch. Er sprach emotionslos. Falls er an einer Universität Vorlesungen hielt, hätte Irmi ihr Lieblingsfleecehemd darauf verwettet, dass die Studenten reihenweise einschliefen.
    »Aber es wird wärmer?«, hakte Irmi nach.
    »Wenn Sie die Wetterstation am Hohenpeißenberg heranziehen, dann hatten wir in den Sechzigerjahren am Hohenpeißenberg noch eine mittlere Wintertemperatur von minus zwei Grad Celsius, jetzt sind es nur noch minus null Komma drei Grad. Die Neunzigerjahre waren dort das wärmste Jahrzehnt in einer zweihundertsechsundzwanzigjährigen Reihe. Auf der Zugspitze, wo der Deutsche Wetterdienst seit über hundert Jahren misst, ist der Trend seit den Fünfzigerjahren ähnlich, aber etwas schwächer ausgeprägt. Auf die Zukunft kann man daraus nicht schließen, aber die Temperaturentwicklung passt zu den Prognosen der Klimamodelle.« Es lag nicht am Inhalt seiner Rede, es lag an seinem Tonfall. Er hatte definitiv kein Talent zum fesselnden Redner.
    Irmi überlegte kurz. »Die Forscher sind sich also relativ einig über einen Temperaturanstieg, aber wie ist das mit den Niederschlägen? Ich habe in diesem Interviewduell gelesen, dass es sogar eine Zunahme von Winterniederschlägen geben könnte. Wäre das nicht gut für den Skisport? So hat jedenfalls Grasegger argumentiert.«
    »Mehr Niederschläge in Form von Schnee müssen sich auf die Schneehöhe nicht unbedingt auswirken. Mehr Wind verbläst den Schnee, und wenn der Schnee nasser und dichter fällt, dann ist der Zuwachs an Schneehöhe auch geringer. Der Jahrhundertwinter 2006 war übrigens gar nicht so außerordentlich. Es gab in unteren Regionen viel Schnee, weiter oben war die Schneelage ganz normal, in gewissen Regionen sogar eher unterdurchschnittlich.«
    »Ernst Buchwieser hob dann aber sofort auf den Winter 2007 ab und argumentierte, dass so die zukünftigen Winter aussehen würden«, meinte Irmi.
    »Er war tatsächlich warm, aber längst nicht der Negativrekord. Wenn man auf Temperatur und Schneemenge schaut, dann war der Winter 1989/90 wärmer und hatte etwas mehr Schnee, während der Winter 1946/47 noch weniger Schnee hatte, aber etwas kälter war. Sie sehen, Frau Kommissarin, das ist alles immer zu belegen und zu widerlegen.«
    »Ein herrliches Feld für Streitgespräche, und darin war Ernst Buchwieser doch sicher grandios, oder?«
    »Natürlich, deshalb haben wir ihn doch auch als Frontmann, wie Sie sagten, eingesetzt. Er wäre bei einem Fernsehduell die perfekte Besetzung gewesen. Viele unserer Argumente hat er perfekt vorgetragen. Es gibt nämlich so etwas wie den gefühlten Winter! Erinnern wir uns: In den Sechziger- und Siebzigerjahren ist kein Mensch vor Weihnachten Ski gefahren. Die Skisaison startete mit dem Christkind. Erst seit die Skiindustrie und die Liftbetreiber in diesen Opening-Hype verfallen sind, müssen Skigebiete schon Ende November öffnen. 1950 gab es wenig Skifahrer und viel Schnee, heute ist es umgekehrt. Damals war es rund eins Komma fünf Grad kälter als heute. Die Schneemengen waren mittelprächtig und nahmen bis Mitte der Siebzigerjahre zu, seitdem nehmen sie allmählich ab, aber die Skifahrer nehmen zu. Fahren Sie Ski?«
    »Nein, was Sie beruhigen müsste. Ich vergehe mich nicht an der Natur.« Irmi verzog den Mund.
    »Wir sind keine verbohrten Dogmatiker, nicht jeder Skifahrer ist ein Umweltzerstörer. Aber die Skifahrer heute sind anspruchsvoller als die der Siebziger. Damals stand man sich zwei Stunden lang die Skistiefel in den Bauch, bis man endlich in der Gondel war. Man verzichtete ganz auf Talfahrten und nahm stattdessen die Gondelbahn oder den Sessellift. Auch letzten Winter konnte man bis auf wenige Tage fast überall in den Alpen Ski fahren, nicht bis zum Hals im Pulverschnee, aber immerhin! Oberhalb von zweitausendfünfhundert Metern ist im Hochwinter von Dezember bis April keine Veränderung zu sehen, die eklatante Veränderung liegt im Bergfrühling. Die Temperaturen sind höher, die Schmelze ist viel intensiver, was man definitiv aus den Daten der letzten zwanzig Jahre ablesen kann. Nimmt man realistischerweise an, dass die Winter im Mittel anderthalb Grad wärmer werden, steigt die Nullgradgrenze um etwa zweihundertfünfzig Meter. Größere Höhen werden

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