Tod auf der Piste
und die anderen zur Beute machte. Irmi hatte das Gefühl, dass ihr wieder einmal ein Teil der Geschichte vorenthalten worden war. Niemand log sie hier offen an, nein, man servierte ihr nur immer winzige Häppchen der Wahrheit.
»Herr Jochum, es ist Ihnen schon klar, was Sie mir da erzählen? Kann denn jemand bezeugen, dass Sie wirklich erst deutlich nach dem verabredeten Termin losgefahren sind. Ihre Frau vielleicht?«
Sein Blick verdüsterte sich erneut. »Die war nicht da. Wie immer. Ausnahmsweise aber nicht in Sachen Ernst Buchwieser. Sie hatte eine Lesung bei einem Literaturbrunch in München.«
Martina Jochum war nicht irgendwer: Sie war Mia J. Jordan, die bekannte Schriftstellerin. Mia J. Jordan schrieb Romane über Liebe und Leidenschaft, die im 19. Jahrhundert spielten und in Australien oder Kanada angesiedelt waren. Irmi las keine Bücher und außer dem Bauernblatt keine Zeitschriften, aber ihre Kollegin Kathi liebte diese Autorin.
Irmi fragte sich, wie man wohl mit einem so knochentrockenen Mann von Leidenschaft schreiben konnte? Vielleicht aber war das Schreiben auch ihr Weg, genau dieser Gefühlstristesse zu entkommen.
»Herr Dr. Jochum, ist das wirklich alles, was Sie mir zu sagen haben?«, vergewisserte sich Irmi.
»Sicher.«
Irmi verabschiedete sich und wurde von Herrn Jochum zur Tür gebracht.
13
Draußen schoben sich von Westen schwere Wolken übereinander, es war kalt geworden. Aprilwetter, Kapriolen, immer mal wieder die Hoffnung auf Frühling, die sich dann doch als trügerisch erwies. Der April war wie das Leben, eine Ansammlung trügerischer Hoffnungen.
Als Irmi das Büro betrat, war es kurz nach elf. Kathi saß vor einer Tasse heißer Schokolade und sah erwartungsfroh aus.
»Und, Kathi, was hast du erfahren? Sag, dass du weißt, wer der Mörder ist. Bitte!«
»Leider kann ich dir das nicht sagen, aber es gibt doch einige interessante Wendungen.« Kathi hatte ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht.
»Fang schon an!«
»Nun, die joggenden Herren waren wirklich beim Laufen, aber sie tauchten erst um halb eins zum Frühschoppen auf. Das würde bedeuten, dass sie viereinhalb Stunden durch die Lande getrabt sind.« Kathi sah Irmi triumphierend an.
»Woher hast du das?«
»Von Frau Deubel, die wie immer um halb elf Weißwürste aufgesetzt hatte. Leider sind diese unschön zerplatzt und wurden zwei Stunden später von den Herren verschmäht. Frau Deubel sitzt übrigens im Rollstuhl. Sie ist todkrank und hat nur noch wenige Wochen zu leben.«
»Hat sie dir das erzählt?«, fragte Irmi verwundert.
»Nein, ich habe mich vorher schlaugemacht. Das war insofern einfach, als meine Cousine im Baubüro als technische Zeichnerin arbeitet.«
Irmi hatte begonnen, auf der Schreibtischunterlage Treppen aus kleinen Kästchen zu malen. »Das heißt, die drei müssen uns erklären, wo sie waren. Diese Saubermänner. Diese Markthonoratioren.« Sie überlegte kurz. »Sie können natürlich auch woanders eingekehrt sein.«
»Was sie laut Frau Deubel, die ziemlich sauer war wegen der verschmähten Weißwürste, auch getan haben. Auf der Aule-Alm seien sie gewesen«, sagte Kathi.
»Aha, und da hat man sie gesehen?«
»Das ist das Problem. Ich war oben und hab nachgefragt. Am Sonntag war da ein Mordschaos wegen einer Laufveranstaltung, der Saisonauftakt eines Lauftreffs oder so. Ich habe mit dem Organisator, einem gewissen Herrn Veit aus München, gesprochen, der sagt, es waren über hundert Teilnehmer da. Da gehen drei Nichtteilnehmer unter. Ob die drei Spezln vor Ort waren oder nicht, konnte niemand mit Sicherheit sagen.«
»Das passt doch wie die Faust aufs Auge!«, meinte Irmi. »Ausgerechnet an dem Tag, wo die Herren ihre lieb gewonnenen Gewohnheiten ändern und aushäusig trinken, toben rund um die drei Läufer hundert weitere Läufer herum. Alles Zufall?«
»Ein Krampf! Aber wie willst du das beweisen, dass die das nur als Tarnung verwendet haben!«, meinte Kathi und fuhr ziemlich aufgeregt fort: »Und das ist noch nicht alles! Es ist nämlich gar nicht gesagt, dass die drei zusammen unterwegs waren.«
»Wie?«
»Nun, Frau Deubel hat die Annahme geäußert, dass Quirin Grasegger und Sepp Ostler ihren Mann decken. Dass sie ihm ein Alibi geben.«
»Alibi? Für den Mord?« Irmi hatte ihre Stimme erhoben.
Kathi verdrehte die Augen. »Das wohl weniger, nein – eher für Deubels Affäre mit einer anderen Frau. Frau Deubel wirkte auf mich sehr fatalistisch, sie hat nichts mehr zu verlieren.
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