Tod auf der Themse
John?«
Cranston winkte den Büttel
zu sich. »Wie lange stehen die schon hier?«
»Seit vier Stunden.«
»Laßt sie frei.«
Lobpreisungen ertönten
vom Pranger, und Segnungen wurden herabgerufen über Sir John und
seine Nachkommenschaft bis ins fünfundvierzigste Glied.
»Das dürft Ihr
nicht machen«, stammelte der Büttel.
»Darf ich nicht?«
Cranston zwinkerte dem Untersheriff zu, der seinem steinharten Äußeren
zum Trotz ein Mann mit Mitgefühl war. »Habt Ihr das gehört,
Master Shawditch? Man verwendet das Wort ›darf nicht‹ gegen
den Coroner der Stadt London und seinen Untersheriff.«
Shawditch stieß dem Büttel
mit dem Finger vor die Brust, wühlte in seinem Geldbeutel und drückte
dem Mann ein Geldstück in die Hand.
»Du wirst sie nicht nur
freilassen, mein fetter Freund«, schnarrte er, »sondern du
wirst ihnen um der Liebe Christi willen
dazu noch etwas Warmes zum Essen kaufen.« Er deutete mit dem Kopf zu
den Sängern hinüber. »Bald ist Advent, Jultid, und wir
feiern die Geburt Christi. Zeig ein wenig Erbarmen, um seinetwillen.«
Der Büttel nahm seinen
schweren Schlüsselbund und machte sich daran, die Gefangenen
freizulassen. Diese rieben sich Hände und Gesichter. Der Franziskaner
kam lächelnd herangewatschelt.
»Der Herr segne Euch,
Master Shawditch.«
»Aye«, murmelte
der Untersheriff. »Möge der Herr mich segnen. Aber jetzt,
Pater, sorgt dafür, daß der Büttel mein Geld gut
verwendet. Kommt, Sir John.«
Der Untersheriff ging weiter,
und Cranston hastete ihm nach.
»Es heißt, Ihr
seid ein Mistkerl«, sagte Cranston. »Aber ein gerechter
Mistkerl.«
»Aye, Sir John, und von
Euch habe ich das gleiche gehört.« Shawditch sah sich nach dem
Pranger um. »Das habe ich mir gedacht.«
»Was?«
»Der verdammte
Taschendieb hat dem Büttel soeben meine Münze geklaut.«
Cranston grinste und drückte
eine behandschuhte Hand ans Ohr, das in der beißenden Kälte
allmählich zu schmerzen begann.
»Zu kalt für alles«,
knurrte er, als sie in die Bread Street einbogen.
»Nicht für die
Einbrecher«, antwortete Shawditch.
Er blieb vor einem hohen
Fachwerkhaus stehen; es war gut gepflegt und frisch gestrichen. Beifällig
betrachtete Cranston die buntgemalten Wappenschilder über der Tür.
»Selpot muß viele
Felle verkaufen«, meinte er.
»Aye«, bestätigte
Shawditch. »Darunter manch eines, das er einem Kunden über die
Ohren gezogen hat.«
Sie klopften an die Tür.
Der Verwalter geleitete sie mit banger Miene in eine kleine behagliche
Stube und schob ein paar Schemel vor ein tosendes Kaminfeuer.
»Möchtet Ihr Wein?«
Er sah Shawditch an.
»Dies ist der Coroner
der Stadt, Sir John Cranston«, sagte der Untersheriff zu ihm.
»Und du? Ich habe deinen Namen vergessen.«
»Latchkey, der
Verwalter.«
»Ach ja, Master
Latchkey.«
»Wir nehmen einen
Schluck Wein«, trompetete Cranston. »Schweren, roten Wein.«
Er sah sich in dem kleinen
Zimmer um und bewunderte die schimmernde Täfelung, die schweren
Wandbehänge und ein kleines Triptychon über dem Kamin. Bronzenes
Küchengeschirr stand in der Kaminecke, und der Steinboden war von
dicken Wollteppichen bedeckt.
»Sicher hat Master
Selpot einen guten Burgunder«, fuhr er drohend fort.
Latchkey hastete zu einem
Schrank in der Fensternische und kam mit zwei randvollen Bechern zurück.
»So, dann erzähle
uns mal, was passiert ist.« Cranston leerte den Becher in einem Zug
und streckte die Hand aus, um sich nachschenken zu lassen. »Komm
schon, Mann, bring den Krug herüber! Du hast nicht zufällig eine
Hühnerkeule übrig?«
Der Mann schüttelte betrübt
den Kopf und füllte Sir Johns Becher noch einmal, bevor er seine
traurige Geschichte erzählte. Sein Herr sei nicht in der Stadt, und
in der vergangenen Nacht sei ein Gauner in das Haus eingedrungen und habe
Kleider, kostbare Becher und Juwelen aus den oberen Stockwerken gestohlen.
»Und wo warst du? Und
die Dienerschaft?« fragte Cranston.
»Oh, im Erdgeschoß,
Sir John.« Der Mann nagte an der Unterlippe. »Die
Gesindestuben sind hier unten, müßt Ihr wissen. Niemand schläft
auf dem Dachboden. Master Selpot besteht darauf. Ich habe eine kleine
Kammer an der Rückseite des Hauses, und der Koch und die Küchenjungen
schlafen in der Küche oder auf der Diele.«
»Und du hast nichts gehört?«
»Nein, Sir John. Kommt,
ich zeige es
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