Tod auf der Themse
bekümmert.
»Ich fürchte, ja, wenn es keine dringenderen Geschäfte
gibt.«
Cranston stützte die
Ellbogen auf den Tisch und legte das runde Gesicht in die Hände mit
den Wurstfingern.
»Na schön.«
Eben wollte er den Bütteln
zubrüllen, sie sollten die nächsten Kläger hereinführen,
als es donnernd klopfte. Edward Shawditch, der Untersheriff der Stadt, kam
hereingerauscht; sein schmales, pockennarbiges Gesicht war rot vor Wut. An
dem stoppligen Kinn erkannte Cranston, daß Shawditch sich nicht
rasiert hatte. Seine kleinen grünen Augen waren rotgerändert von
zuwenig Schlaf, und seine Lippen waren so schmal zusammengepreßt, daß
man meinen konnte, er habe einen Schluck Essig getrunken. Der Untersheriff
streifte den Handschuh ab und strich sich das schweißfeuchte rote
Haar zurück.
»Auf ein Wort, Sir
John.«
Auf tausend Worte, meinst du
wohl, dachte Cranston erbittert. »Was gibt’s denn, Shawditch?«
Er achtete den Untersheriff als einen rechtschaffenen Mann, aber der Kerl
war so diensteifrig und pingelig, daß es Cranston grauste.
»Zwei Dinge, Sir John.«
»Eins nach dem ändern«,
sagte Cranston.
»Es hat einen Einbruch
gegeben. Schon wieder einen.«
Cranston stöhnte auf.
»Der sechste«,
erklärte Shawditch ungerührt.
»In wessen Haus
diesmal?«
»Selpots«, sagte
Shawditch.
»Oh Gott, nein«,
seufzte Cranston. Selpot war ein Ratsherr, ein hochrangiges Mitglied der
Gerberzunft. »Doch nicht sein Haus in der Bread Street?«
»Doch, ganz recht.«
»Und auf die gleiche
Weise wie zuvor?«
»Ja, auf genau die
gleiche Weise. Selpot ist abwesend, mit Frau und Kindern bei Freunden in
Surrey - sagt wenigstens sein Verwalter. Wahrscheinlich will er einen
Bauern um ein paar Häute betrügen. Wie dem auch sei, Selpot hat
sein Haus in der Obhut des Verwalters gelassen.« Shawditch zuckte
die Achseln. »Am besten kommt Ihr mit und seht es Euch selbst an.«
Cranston schob seinen Stuhl
zurück, setzte den dicken Biberfellhut auf und schnallte sich den
Schwertgurt um den mächtigen Bauch. Er raffte seinen schweren
Soldatenmantel an sich und folgte Shawditch hinaus. In der Tür drehte
er sich noch einmal um und lächelte Osbert schadenfroh zu.
»Die heutigen
Verhandlungen sind vertagt«, verkündete er. »Entweder
das, oder du kannst sie einem anderen Gericht übergeben.«
Der Coroner und der
Untersheriff traten hinaus in die eiskalte Morgenluft und gingen zusammen
die Cheapside hinauf. Unrat und Kot auf den Pflastersteinen waren
hartgefroren. Die Häuser zu beiden Seiten der Straße waren im
wallenden Nebel, der Lärm und Getöse dämpfte, halb
verborgen. Die Menschen waren zum Schutz gegen den eisigen Dunst von Kopf
bis Fuß eingemummt, die Reichen in wollene Mäntel und Gewänder,
die Armen in bunt zusammengeflickten Lumpen.
Ein altes Bettelweib, das in
einer Gasse in einem Winkel gekauert hatte, war in dieser Haltung
erfroren. Jetzt hob man den sperrigen Leichnam auf einen Karren, von
Ochsen gezogen, deren Atem wie dicker Dampf aufstieg. Hinter dem Karren
schlitterte eine Schar Kinder, unempfindlich für diese Tragödie,
auf Schafsknochen über die gefrorenen Kloaken und Sickergruben. Eine
Gruppe junger Männer in seltsamen, aus Lumpenstücken zusammengenähten
Gewändern sang ein Lied von Christus, der uns zum Heil in Bethlehem
geboren sei. Ein Stück weiter unten auf der Cheapside spielte ein
Dudelsackpfeifer in schrillen Tönen vor dem Pranger, wo Spitzbuben
und mindere Verbrecher, an Hals und Händen angeschlossen, einen Tag
lang stehen würden, um beschimpft und mit Unrat beworfen zu werden
und unter der Eiseskälte eines harten Wintertages zu leiden. Ein
Franziskaner, der einen Ledereimer mit warmem Wasser in der einen und
einen weichen Lappen in der anderen Hand hielt, wischte ihnen sanft die
Gesichter ab und hielt ihnen einen Napf mit heißer Milch und Wein an
die Lippen. Einer der Gefangenen weinte vor Kälte. Sir John blieb
stehen. Er schaute in die aufgesprungenen Gesichter und sah die bläulichen
Wangen im verkniffenen Gesicht eines Taschendiebs und die Tränen, die
dessen rattenäugigen Komplizen über die Wangen liefen. Er wollte
weitergehen.
»Cranston, um der Liebe
Christi willen!« schrie der Taschendieb. »Oh, bitte!«
Cranston blieb stehen und
schaute den diensthabenden Büttel an. Shawditch kam ungeduldig zurück.
»Was ist los, Sir
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